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WDVS aufdoppeln: Das sind die Möglichkeiten, Verfahren und Vorschriften

Georg J. Kolbe
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Viele der heute sanierungsbedürftigen Wärmedämm-Verbundsysteme stammen aus den 1980er-Jahren. Die Anforderungen an die Gebäudehülle haben sich seitdem stark gewandelt. Die „Niedertemperatur-Readiness“ ermöglicht Heizkonzepte mit Wärmepumpen, die mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben werden, was ganz im Sinne des klimaneutralen Heizens ist. Dafür braucht es eine effiziente Wärmeverteilung und -nutzung, bei der möglichst wenig Wärme durch die Außenwände verloren geht. Die gezielte Dämmung der Gebäudehülle sollte bei einer Sanierung daher immer der erste Schritt sein, idealerweise verbunden mit dem Austausch der Fenster.

Bild 1: Aufdoppeln anstatt abreißen – es gibt inzwischen bauaufsichtlich zugelassene Systeme, um zu dünne und/oder schadhafte Wärmedämm-Verbundsysteme energetisch zu ertüchtigen bzw. zu sanieren.
Bild 2: Bei einer WDVS-Aufdoppelung sind nicht nur statische Aspekte hinsichtlich der Verankerung zu beachten – die so modernisierte Dämmfassade muss auch aktuellen Brandschutzvorschriften genügen.

Typische Schadensbilder an Alt-WDVS und ihre Ursachen

Die Bestandsaufnahme von in die Jahre gekommenen Wärmedämm-Verbundsystemen zeigt typische Schadensbilder wie Risse, Abplatzungen und Durchfeuchtungen. Ursache dafür sind vor allem die in der Vergangenheit verwendeten Materialien und Verarbeitungstechniken. Vielfach wurden Putze mit organischen Bindemitteln verwendet, die den langen und hohen Belastungen auf Dämmschichten nicht ausreichend gewachsen sind.

  • Risse

    Besonders entlang der Dämmplattenstöße bilden sich bei Alt-Systemen häufig Risse. Dieses Schadensbild resultiert einerseits aus der „Materialermüdung”, der meist zu dünn als Spachtelung ausgeführten Armierungsschicht und andererseits aus der hohen mechanischen Beanspruchung in diesem Bereich. Anders als heute wurden die Dämmplatten früher häufig nur mit wenigen Klebebatzen am Untergrund verklebt. Eine Fixierung der Plattenränder durch eine umlaufende Verklebung war nicht üblich. Durch Temperaturdifferenzen treten im Dämmplattenstoß größere Bewegungen auf, die auf Dauer von einer dünnen Armierungsschicht nicht verkraftet werden.

     
  • Durchfeuchtung und Putzablösung

    Während feine Haarrisse bei mineralischen Putzsystemen zwar unschön, jedoch auf Dauer unbedenklich sind, stellen sie bei organischen Beschichtungen ein Problem dar. Aufgrund der ungünstigen feuchtetechnischen Eigenschaften dieser Beschichtungen kann das über die Risse eingedrungene Wasser nicht schnell genug aus dem System hinaus transportiert werden. Dämmung und Außenwand durchfeuchten mehr und mehr und die Risse vergrößern sich im Laufe der Zeit; Putzablösungen sind die Folge (Abb. 3). In diesem Zusammenhang sind vielfach mit Wasser gefüllte Ausbeulungen, sogenannte Putzblasen, zu beobachten.
Bild 3: Oftmals führen Risse im Putz zu Feuchteschäden, die eine Sanierung des WDVS unumgänglich machen. Mit einer Aufdoppelung lassen sich nicht nur die Schäden beheben, sondern auch der Wärmeschutz der Gebäudehülle verbessern.
  • Verschmutzung und Algenbewuchs

    Ist Niederschlagswasser in das Putzsystem eines WDVS eingedrungen, kann es nur langsam entweichen. Die Dämmwirkung des Systems verhindert, dass Wärme aus dem Gebäudeinnern auf das Putzsystem übertragen wird und die Durchtrocknung beschleunigt. Hier muss jedoch zwischen organischen und mineralischen Putzbeschichtungen unterschieden werden. Während bei mineralischen Kalk-Zement-Putzen eingedrungene Feuchtigkeit wieder zügig entweichen kann, dauert der Vorgang bei organischen Beschichtungen wesentlich länger. Die Kunstharzputzsysteme befinden sich somit quasi im dauerfeuchten Zustand, was eine ideale Voraussetzung für den Befall mit Algen oder Schimmelwachstum ist. Das Resultat ist grüner bzw. schwarzer Bewuchs an den Fassaden.

Alt-WDVS: Aufdoppelung oder Rückbau?

Ist bei einem zu sanierenden Objekt, egal welchen Typs, bereits ein WDVS vorhanden, werden – je nach Zustand – immer wieder der Abbau und die Entsorgung des schadhaften Systems in Betracht gezogen. Aufgrund hoher Kosten- und Schmutzbelastung stellt dieses Verfahren für die Mehrheit der Bauherren jedoch keine befriedigende Lösung dar. Warum so ein System nicht aufdoppeln? So mancher Hersteller scheute jedoch in der Vergangenheit das Risiko, ein neues System auf die oftmals labilen Alt-Systeme aufzubringen. So gab es nur wenige Anbieter am Markt, die so ein Verfahren überhaupt anboten. Diese Pioniere erarbeiteten sich jedoch im Laufe der vergangenen 30 Jahre einen deutlichen Erfahrungsvorsprung und entwickelten spezielle Sanierverfahren für Alt-WDVS. So zum Beispiel auch der Hersteller Saint-Gobain Weber mit seinem bewährten retec-Verfahren.

Retec-Verfahren fördert Haftung und Diffusion

Beim Retec-Verfahren wird die gesamte Alt-Fassade zunächst mit einem Dampfstrahlgerät gereinigt (Abb. 7) und dann rasterförmig geschlitzt (Abb. 8), wobei die Putzschicht komplett durchbrochen wird.

Der dabei entstehende Staub wird sofort von einem angeschlossenen Staubsauger aufgefangen. Anschließend wird ein mineralischer Spezialmörtel vollflächig aufgebracht (Abb. 1). Die geschlitzte Alt-Fassade vergrößert die Klebefläche um bis zu 30 %, wodurch der nachfolgend aufgetragene Armierungsmörtel wesentlich besser haftet.

Bild 4: Gegenüber einem Abriss und Neuaufbau ist zum Beispiel das retec-Verfahren von Saint-Gobain Weber deutlich günstiger. Wird das alte WDVS nur geschlitzt und ein neuer Putz aufgebracht, fallen weniger Kosten an (Stand 2020).

Weiterhin weist die geschlitzte Fassade eine wesentlich höhere Diffusionsfähigkeit auf als zuvor (Abb. 5, 6). Untersuchungen des Fraunhofer Institutes für Bauphysik haben ergeben, dass das retec-Verfahren den µ-Wert der organischen Beschichtung um bis zu 50% reduziert.

Bild 5, 6: Der Vergleich einer Putzsanierung gegenüber einer Aufdoppelung mit dem retec-Verfahren zeigt: Beide Varianten ermöglichen die zügige Austrocknung des Systems. Empfehlenswert ist jedoch eine diffusionsoffene Dämmung, wie z.B. mit Mineralwolle.

Dieser Umstand wirkt sich auch günstig auf die Austrocknung der oftmals durchfeuchteten WDVS aus. Somit schafft man mit dem retec-Verfahren optimale Voraussetzungen für die Aufdoppelung eines neuen Systems (Abb. 9).

Bild 7: Vor der WDVS-Sanierung ist der Untergrund zu prüfen. Danach wird die komplette Fassade mit einem Dampfstrahlgerät gründlich gereinigt.
Bild 8: Damit eventuell im Untergrund enthaltene Feuchte entweichen kann und sich der Armierungs­mörtel besser mit dem Untergrund verkrallen kann, wird die alte Dämmfassade schachbrettartig bis in den Dämmstoff hinein geschlitzt.
Bild 9: Nach dem Auftrag des Armierungsmörtels wird die aufzudoppelnde Dämmschicht – vorzugsweise Mineralwolleplatten – auf das bestehende System aufgeklebt, dann armiert, gedübelt und mit einem neuen Oberputz versehen.

Wirtschaftlich lohnt sich eine Sanierung des Alt-Systems allemal. Die optische und funktionale Verjüngungskur sichert langfristig den Wert einer Immobilie. Gleichzeitig lassen sich Fördergelder für diese Variante der Fassadensanierung beantragen. Die Höhe hängt von den erreichten Energieeffizienzklassen ab. Im direkten Vergleich zeigt sich: Gegenüber einer konventionellen Sanierung mit Rückbau und Erneuerung der Altfassade fällt die Ertüchtigung des Alt-Systems mit dem weber.therm retec-Verfahren inklusive Aufdoppelung rund 65 % günstiger aus (Abb. 4).

Im Sinne der angestrebten Niedertemperatur-Readiness eines Gebäudes empfiehlt es sich, die Kostenersparnis direkt in die Erneuerung der Fenster zu investieren. Um eine verlässliche Gesamtkalkulation zu erzielen, sollten bei der ­Planung außerdem sämtliche Folgekosten an Schnittstellen, wie etwa Rollladenkästen, Lüftungsauslässen oder Regen­rinnen, mit einbezogen werden. Die genannten Bauteile müssen zwar zunächst rückgebaut werden, jedoch lassen sie sich mit auf das jeweilige System abgestimmten, thermisch getrennten Montageelementen einfach und sicher wieder montieren.

Zudem schont eine Aufdoppelung die Ressourcen, erfüllt also den Aspekt der Nachhaltigkeit. Der Grundwärmeschutz bleibt erhalten, wird dann jedoch auf ein besseres Niveau angehoben. Zudem ermöglicht es die Aufdoppelung, in strittigen Fällen auf den Bestandsschutz zu pochen, was bei einem kompletten Abriss des Systems mit Neuaufbau nicht greift. 

Hinzu kommt, dass der Rückbau bis auf das Mauerwerk ein solches erheblich schädigen kann. Folgeprobleme sind hier vorprogrammiert. Wird dagegen das Alt-WDVS adäquat für die Aufnahme einer zusätzlichen Dämmschicht vorbereitet, bietet es einen tragfähigen und ebenen Untergrund und damit optimale Voraussetzungen für die Montage. Die Standsicherheit wird dabei durch die Verankerung des Neusystems sichergestellt. Denn bei einer Aufdoppelung wird so verdübelt, als sei der Untergrund nicht standsicher.

Aufdoppelung von WDVS: Was ist zu beachten?

Bei der Aufdoppelung von Wärmedämm-Verbundsystemen gibt es zwar einige Details zu beachten, diese unterscheiden sich jedoch kaum von der Ausführung eines herkömmlichen, neu aufgebrachten WDVS.

  • Kleberhaftung

    Während man bei genormten und vielen anderen neuen Untergründen davon ausgehen kann, dass die üblichen WDVS-Kleber ausreichend haften, stellen alte, meist gestrichene Putze auf WDVS oft besondere Herausforderungen dar. Diese Beschichtungen sind häufig intensiv geschädigt und weisen gravierendere Mängel auf, als dies bei altem, nur verputztem Mauerwerk der Fall ist. Die Gründe liegen in der extrem hohen Beanspruchung der Dämmplatten durch die hygrothermische Belastung.

    Die Notwendigkeit, die Tragfähigkeit vorhandener Beschichtungen und die Verträglichkeit mit dem Kleber zu prüfen, besteht grundsätzlich für jedes WDVS und ist in allen Zulassungen verankert. Bei der Prüfung stellt sich vielfach heraus, dass die Haftung des alten Armierungsmörtels auf den meist aus Polystyrol bestehenden Dämmplatten nicht mehr ausreicht. Auch ohne aufwändige Haftzugprüfungen stellt der sachkundige Prüfer häufig fest, dass es zu einem leichten Abschälen des Armierungsputzes kommt. Um dieses Phänomen zu verhindern, muss eine ausreichende Haftung sichergestellt werden.

     
  • Austrocknung

    Im Falle einer Durchfeuchtung des Alt-Systems empfiehlt sich bei der Aufdoppelung ein möglichst diffusionsoffener Aufbau, damit die Konstruktion schnell austrocknet und effizient dämmt. In den vergangenen Jahren wurden immer wieder Feuchtegehalte von bis zu zehn Volumenprozent in alten geschädigten WDVS festgestellt.

    Wenig diffusionsoffene Beschichtungen wie Kunstharz­putze und Dispersionsanstriche behindern die rasche Trocknung ­erheblich. Diese Problematik umgeht das retec-Verfahren in Kombination mit diffusionsoffenen mineralischen Be­schichtungen. Ein noch besserer Effekt stellt sich mit diffusions­offenen Dämmstoffen wie zum Beispiel Mineralwolle ein. Die manchmal mehrere Jahre andauernde Austrocknungszeit kann – je nach örtlicher Situation – auf diese Weise halbiert werden.

     
  • Standsicherheit

    Bis heute werden WDVS nicht immer gemäß den Herstellervorgaben ausgeführt. Eine Punkt-Verklebung der Dämmplatten war früher üblich, der Klebeflächenanteil lag oft nur bei 20 bis 30 %. Um die Standsicherheit des kompletten aufgedoppelten Systems zu gewährleisten, hat sich seit mehr als 20 Jahren eine Verdübelung mit Schraubdübeln durch das Gewebe hindurch bewährt. Auch unterstützt das heute übliche Floating-Buttering-Verfahren die Haftung und vermeidet Hinterströmungen. Die Verdübelung bietet höchste Sicherheit, erfordert allerdings eine sachkundige Ausführung. Die Bemessung kann grundsätzlich nach der Windlastnorm erfolgen. In Zweifelsfällen – zum Beispiel bei einem sichtlich schlecht ausgeführten Alt-WDVS – bietet es sich an, die Anzahl der Dübel zu erhöhen.

     
  • Brandschutz

    Die neue Brandschutzverordnung regelt auch den Fall der Aufdoppelung von Alt-WDVS: In so einem Fall müssen die Brandriegel auch das Alt-WDVS bzw. die Holzwolle-Leichtbauplatte bis auf den nichtbrennbaren Wandbildner durchdringen. Hierfür werden bei einer Aufdoppelung das Alt-WDVS aufgeschnitten und der Dämmstoff durch den Brandriegel ersetzt. Die Brandriegel sind immer zu dübeln. Somit steigert die Aufdoppelung auch das brandschutztechnische Sicherheitsniveau eines Gebäudes.

Vorschriften gemäß Zulassung

Vor rund zehn Jahren hat das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) eine neue Klasse von allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen für Wärmedämm-Verbundsysteme eingeführt: die Zulassungen für Aufdoppelungen von WDVS. Hierbei handelt es sich im Prinzip um eine bekannte WDVS-Zulassung, die an wenigen Stellen ergänzt wurde. Die Änderungen lassen sich in drei Kernpunkten zusammenfassen:

1. Geeignete WDVS für Aufdoppelungen

Die Zulassung legt fest, welche WDVS auf alte, aber stand­sichere WDVS aufgebracht werden dürfen. Bei den auf­gelisteten Systemen handelt es sich in der Regel um Standardsysteme.

2. Art und Zustand des alten WDVS

Im Zulassungstext heißt es: „Art und Zustand des vorhandenen Wand- und Altsystemaufbaus, dessen Standsicherheit sowie Tragfähigkeit und die Tauglichkeit für eine WDVS-Aufdoppelung ist in jedem Fall rechtzeitig vorher durch einen Sachkundigen feststellen zu lassen […], der auch das für die Verarbeitung empfohlene Verfahren festlegt. Das Eigengewicht des Altsystems sowie die vorhandene Dämmstoffdicke sind zu ermitteln.“

Nichts anderes wurde in den Zeiten vor der Zulassung gemacht. Neu ist allerdings die Ableitung von Grenzwerten für das spätere Gesamtgewicht des aufzubringenden Systems. Bei dieser Berechnung wird das trockene Gewicht des Altsystems zu den Nassgewichten des Neusystems addiert.

3. Untergrundprüfung

Bezüglich der Untergrundprüfung heißt es in der Zulassung: „Das WDVS (Altsystem) muss insgesamt standsicher sein und hinsichtlich der Befestigung und Eigenschaften der Dämmstoffplatten sowie der Ausführung des WDVS den Anforderungen vergleichbarer zugelassener WDVS mit angeklebtem oder angedübeltem und angeklebtem Wärmedämmstoff entsprechen.“

Die Eigenschaften der alten Dämmplatten zu überprüfen, ist sicherlich richtig. In der Praxis hat dies aber ausführliche Materialprüfungen im Labor zur Folge, was den Mehraufwand für die verarbeitenden Betriebe deutlich erhöht. Ergäbe die Prüfung das Altsystems, dass nur 20 bis 30% der Alt-Plattenfläche verklebt wurden, wäre die logische Konsequenz aus dem Zulassungstext der Abriss des Alt-Systems. Selten ist dieser Schritt jedoch notwendig, da auch solche Systeme unter sachkundiger Anleitung und mit wenig zusätzlichem Aufwand problemlos aufgedoppelt werden könnten.

Wie bei allen WDVS gilt, dass nur aufeinander abgestimmte Systemkomponenten verwendet werden dürfen. Bei einem Wechsel auf systemfremde, nicht vom Hersteller definierte Komponenten verliert die AbZ ihre Gültigkeit.

Mit der Einführung von Zulassungen für die Aufdoppelung von WDVS hat sich nicht viel geändert. Nach wie vor ist der sachkundige Fachmann gefragt, der den Altzustand beurteilt und dementsprechend eine Sanierungsempfehlung ausspricht. Diese Vorgehensweise ist bei allen Sanierungen, zu denen auch die Aufdoppelung eines WDVS zählt, üblich und bewährt.

Wenn der Fachunternehmer, der die Arbeiten ausführt, Bedenken hat oder Hilfestellung braucht, wird er sich in der Regel an seinen Systemlieferanten wenden. Die Hersteller der WDVS kennen die Materie und insbesondere ihre Systeme am besten und werden auch zukünftig objektbezogene Empfehlungen aussprechen, für die sie dann auch die Gewährleistung übernehmen.

Das Gebäude als Ganzes denken

Eines sollte allen Planern und Bauherren klar sein: Eine Zusatzdämmung verändert das gesamte Erscheinungsbild eines Gebäudes. Neben den Kosten sollten daher auch ästhetische Überlegungen in die Entscheidung und Planung einbezogen werden, etwa an den Dachüberständen oder am Anschluss zum Nachbarhaus. Auch der Lichteinfall verändert sich durch die Aufdoppelung, es sei denn, der sogenannte Schießscharteneffekt wird durch den Versatz der Fenster in die Dämmebene zumindest in einem gewissen Maße ausgeglichen.

Besser aufdoppeln als abreißen

Ein Wärmedämm-Verbundsystem hat den unbestreitbaren Vorteil, dass es – anders als zum Beispiel vorgehängte und hinterlüftete Fassaden – kalkulationssicher und ohne Rückbau thermisch ertüchtigt werden kann. Das Sicherheitsniveau lässt sich sowohl statisch durch das Verdübeln als auch in brandschutztechnischer Hinsicht durch das Einbringen von Brandriegeln anheben. Eine Aufdoppelung ist gegenüber einem Rückbau zudem wirtschaftlicher und schont Ressourcen. Auch im Sinne des Bestandsschutzes geht man damit eher auf Nummer sicher. Eine derart energetisch ertüchtigte Gebäudehülle ist zudem ideal für den Einbau einer neuen Heizanlage vorbereitet („Niedertempereratur-Readiness“).

Wichtiges Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Wärmedämmung im Gebäudebestand

Der BGH hat eine Grundsatzentscheidung zur grenzüberschreitenden Wärmedämmung auf der Grundlage des Nachbarschaftsgesetzes in Nordrhein-Westfalen verkündet. Demnach ist der Nachbar verpflichtet, eine durch Dämmmaßnahmen verursachte Grenzüberschreitung bis zu 25 cm gegen angemessene Entschädigung zu dulden (BGH, Urteil vom 12.11.2021 – Az. V ZR 115/20, § 23a NachbG NW). Die Prozessparteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke, auf denen vermietete Mehrfamilienhäuser stehen. Während die Giebelwand des Gebäudes der Klägerin seit Jahrzehnten unmittelbar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze endet, liegt das Gebäude der Beklagten etwa 5 m von dieser entfernt. Mit dem Hinweis, dass eine Innendämmung dieses Gebäudes nicht mit vertretbarem Aufwand realisiert werden kann, verlangte die Klägerin die Duldung einer grenzüberschreitenden Außendämmung ihrer Giebelseite um 25 cm.

Der BGH bestätigte die Entscheidung des Amtsgerichts nach dort erfolgter Beweisaufnahme und hob die Entscheidung des Landgerichts auf. Nach dem aktuellen Nachbarschaftsgesetz in NRW ist eine wesentliche Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks insbesondere dann anzunehmen, wenn die Überbauung die Grenze zum Nachbarn um mehr als 25 cm überschreitet. Diese gesetzliche Grenze wurde vorliegend beachtet, und der BGH sah keine Veranlassung für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht. Bei der zulässigen grenzüberschreitenden Wärmedämmung handelt es sich vorliegend um eine „andere Beschränkung“ des Nachbargrundstücks unter besonderer Berücksichtigung der Energieeinsparung und des Klimaschutzes. Dem Eigentümer des belasteten Nachbargrundstücks steht eine angemessene Entschädigung zu.

Hierzu ein Kommentar von Werner Dorß, Rechtsanwalt für Energierecht:

Im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion um die Bedeutung des Klimaschutzes und der Verminderung von Treibhausgasemissionen werden vergleichbare Konflikte deutlich zunehmen. Vorliegend hatte der BGH in einem konkret im Streit stehenden Einzelfall zu entscheiden – bezogen auf die rechtlichen Vorschriften eines Bundeslandes. In der Praxis sind daher zunächst die jeweils geltenden länderspezifischen Vorgaben zu prüfen. Im vorliegenden Fall (NRW) hätte die grenzüberschreitende Wärmedämmung eine Dicke von 25 cm nicht überschreiten dürfen.

Offen bleibt die Frage, wie weit das Nachbarhaus im Einzelfall von dem Überbau entfernt sein muss. Konflikte könnten sich beispielsweise aus der Art und dem Umfang der Nutzung dieser Freifläche ergeben. Besondere Bedeutung kommt hierbei einer möglichen minimal erforderlichen Durchfahrtsbreite zu. Im vorliegenden Fall kam die erstinstanzliche Beweisaufnahme zu dem Ergebnis, dass eine mögliche Innendämmung nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich sei. Auch hier bedarf es künftig der konkreten Betrachtung im Einzelfall unter Beachtung von Wandstärken, Baumaterial und bauphysikalischen Gegebenheiten vor Ort.

Bestandshaltern von entsprechend gelegenen Immobilien ist in solchen Fällen eine fachkundige Energieberatung nahezulegen. Insbesondere hinsichtlich der Option einer Innendämmung besteht oftmals eine deutliche Verunsicherung. Praxisnahe Hinweise hierzu veröffentlicht der Fachverband Innendämmung unter www.fvid.de.

Dieser Artikel von Dipl.-Ing. Georg J. Kolbe ist zuerst erschienen in Gebäude- und Energieberater Ausgabe 01/2022. Georg J. Kolbe studierte Bauingenieurwesen an der Fachhochschule Bochum. 1996 Vertriebsmitarbeiter bei Wülfrather Fertigbaustoffe, der heutigen Saint-Gobain Weber GmbH. 2002 Wechsel ins Marketing, seit 2009 Leiter im Produktmanagement Putz- und Fassadensysteme.

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