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Bidirektionales Laden: So wird das E-Auto zum Stromspeicher

Heiko Schwarzburger
Inhalt

Solange E-Autos ihre Vorteile nicht voll ausspielen, kommt auch die Energiewende im Autoverkehr nicht voran. Es geht ja nicht nur darum, Verbrennungsmotoren gegen E-Motoren auszutauschen, um Emissionen zu senken. Es geht um mobile Speicher, die viel mehr können – mehr, als nur blöd im Kreis zu fahren. Zwar brachte Niki Lauda dieses berühmte Zitat in anderem Zusammenhang. Aber wir wollen hier an ihn erinnern, Frieden seiner Seele.

E-Autos als mobile Batterien

Mehr als nur im Kreis fahren: Bidirektionale Fahrzeuge können nicht nur Energie tanken (wie Verbrenner auch). Sie können sie gezielt wieder abgeben: als elektrischen Strom für Gebäude, für das Stromnetz, für elektrische Werkzeuge und Schweißgeräte, für Beleuchtungstechnik oder temporäre Informationsnetze. Kurz: Sie können Strom überallhin tragen – denn sie sind mobile Batterien.

Das Laden von E-Autos ist keine Einwegtechnik aus der Steckdose ins Fahrzeug.

Die Firma Wallbox Chargers hat eindrucksvoll demonstriert, welche Chancen sich daraus ergeben. An ihrem Firmensitz in Barcelona installierten die Spanier ihr Energiemanagementsystem Sirius als umweltfreundliche und kostengünstige Alternative zur Modernisierung der Netzinfrastruktur. Mithilfe von Datenanalysen, künstlicher Intelligenz und Internettechnologie integriert Sirius das Firmennetz mit seinen verteilten Energieressourcen.

Der Clou: Das Arealnetz beinhaltet eine Flotte von 23 vollelektrischen Nissan Leaf mit bidirektionaler Aufladung, dazu 400 Kilowatt Photovoltaik und 560 Kilowattstunden stationärer Batteriespeicher vor Ort. Die E-Autos speisen bei Bedarf zurück, unterstützen die stationären Speicher wie mobile Satelliten.

Award der Fachmesse The smarter E

Im Jahr 2022 konnte Wallbox Chargers seinen Ausstoß an Kohlendioxid um 73 Tonnen und seine Energiekosten um über 40 Prozent senken. Darüber hinaus sparte Sirius eine halbe Million Euro gegenüber dem Netzausbau. Dafür gab es den Award der diesjährigen The smarter E in München. Das Projekt dokumentiert, worum es bei der E-Mobilität eigentlich geht: um völlig neue Funktionalitäten und neue Geschäftsmodelle, die nur mit bidirektionalen Fahrzeugen und bidirektionaler Ladetechnik möglich werden.

Zur Messe brachte die Firma auch ihr neues Ladegerät Quasar 2 mit, CCS-kompatibel und bidirektional für alle V2X-Anwendungen. Nutzer können per App die Ladevorgänge automatisiert so planen, dass geladen wird, wenn der Strompreis günstig oder ausreichend Solarenergie verfügbar ist. Steigt der tagesaktuelle Strompreis, kann der günstige Strom aus dem E-Auto entladen werden.

Mit dem Energiemanagementsystem Sirius gewann Wallbox Chargers den Award der diesjährigen The smarter E.

Das E-Auto als Energiezentrale

Im Rahmen flexibler und dynamischer Stromtarife ist das insbesondere dann der Fall, wenn die Stromnachfrage hoch oder wenig Ökostrom verfügbar ist. Quasar 2 verwandelt E-Autos in leistungsstarke Energiemanagementgeräte und mobile Stromspeicher im besten Sinne. Im Durchschnitt kann ein Elektroauto einen Haushalt über drei Tage lang mit Strom versorgen.

Nutzer, die Solarmodule installiert haben, können außerdem solaren Überschussstrom im E-Auto speichern und ihn dann später, beispielsweise bei hoher Netzauslastung, nutzen. Das verringert die Abhängigkeit vom Stromnetz und erhöht den Anteil des eigenproduzierten Sonnenstroms am Stromverbrauch des Gebäudes.

Bidirektional wird neuer Standard

Die Sache kommt voran, das war auf der Power2Drive klar zu erkennen. 2022 waren ganze drei Ladeboxen auf der Messe zu sehen, die Ströme in zwei Richtungen verarbeiten konnten. In diesem Jahr war es allgegenwärtiger Trend, faktisch ein neuer Standard. Zwar werden die meisten bidirektionalen Ladeboxen erst 2024 wirklich zur Verfügung stehen. Aber sie werden kommen, und die Kunden scharren schon mit den Hufen. Denn bidirektionale E-Mobilität erfüllt einen uralten Traum: Unabhängigkeit.

Theoretisch ist es möglich, sich mit dieser Technik komplett vom Netz abzunabeln. Was, sich vom Stromnetz verabschieden? Ei gewiss, weil das E-Auto als Notstromaggregat wirken kann. Wer viel Sonnenstrom von Dach und Fassade erntet, kann künftig den Reststrom aus dem Auto holen – Dunkelflaute ade!

Natürlich versuchen die Netzbetreiber, solche Szenarien zu verzögern. In der deutschen Öffentlichkeit wird die Flucht aus dem Stromnetz meist als Sakrileg behandelt. Ist es aber nicht, sondern eine Folge der neuen technischen Möglichkeiten.

So sieht das solare Musterhaus aus

So wird ein Schuh draus: Am Netzanschluss auf dem Grundstück hängt nur noch eine monodirektionale Netzbox. Daraus wird das E-Auto geladen, wenn der Sonnenstrom nicht ausreicht. Das Haus wird als netzunabhängige Insel betrieben, am besten alles auf DC. „All electric society“ heißt das Schlagwort. Das Haus hat eine bidirektionale DC-Ladebox, um das Auto mit Sonnenstrom zu speisen oder Defizite aus der Autobatterie zu decken. Der große Vorteil: Wenn er den Hausanschluss kappt, ist der Solarkunde ziemlich aus dem Schneider. Dann muss er sich nämlich nicht mehr mit Netzbetreibern, Bundesnetzagentur oder Finanzbeamten streiten, nur weil er seinen Sonnenstrom selbst produziert. Und die DC-Versorgung, sie passt gut zur Photovoltaik, zu den stationären Speicherbatterien und zum E-Auto. Haben wir etwas vergessen? Elektrische Heiztechnik lässt sich mit DC problemlos betreiben. Auch die Brennstoffzellen – mit Wasserstoff aus sommerlichem Überschuss an Solarstrom erzeugt – passen in dieses Gedankenexperiment.

Die Ladebox am Netzanschluss – das werden die Netzbetreiber selber früher oder später fördern, weil die Stromkunden ihnen andernfalls komplett von der Angel gehen. Solche Szenarien sind keine Fantasie mehr, das wird kommen. Wie viele andere Veränderungen, die sich aus bidirektionaler E-Mobilität ergeben.

Künftig wird Strom überall verfügbar sein. Hier eine Schnellladesäule an der Autobahn A2.

Normung für bidirektionales Laden ist abgeschlossen

Die gute Nachricht: Die Normung ist abgeschlossen. Im April 2023 wurde die ISO 15118-20 veröffentlicht. Sie regelt die Kommunikation zwischen E-Auto und Ladetechnik zum bidirektionalen Laden.

Nun sind die Hersteller der E-Autos und der Ladeboxen aufgerufen, die entsprechende Funktionalität in ihre Produkte zu integrieren. Einen Grund, länger zu warten, gibt es eigentlich nicht.

Mancher schlägt sich erschrocken die Hand vor den Mund: Flucht vom Stromnetz? Das ist Anarchie! Dafür brauchen wir doch Regelungen, Gesetze! Sonst bricht Chaos aus! Massenflucht vom Stromnetz! Und das Finanzamt, jawoll! Es muss doch regeln, wie der ins Gebäude rückgespeiste Strom versteuert wird! Oder wie Sonnenstrom, den der Bürger bei seinem Chef in der Firma tanken darf, bei Einspeisung ins Wohnhaus steuerlich zu behandeln ist!

Nein, mehr Gesetze und bürokratische Hürden braucht es nicht. Im oben erwähnten Szenario bleibt das Finanzamt ohnehin außen vor. Dann wird nur der Strom versteuert, den das E-Auto aus dem Netz kauft – wie bislang auch.

Bidirektionales Laden ermöglicht echte Unabhängigkeit

Bidirektionales Laden ist technisch durch die Normung ausreichend standardisiert. Es wird subversiv und disruptiv wirken und die Strommärkte ordentlich umkrempeln. Die Energiewende wird sich beschleunigen, vor allem im Individualverkehr.

Der Durchbruch für die E-Mobilität kommt nicht, weil die Leute Emissionen sparen wollen. Er kommt, weil echte Unabhängigkeit winkt. Weil sich darin die wirkliche Überlegenheit der E-Autos gegenüber fossil betriebenen Fahrzeugen zeigt. Das Mehrwegauto verspricht Mehrwert, den wir heute noch gar nicht absehen.

Möglicherweise wird es noch einige Zeit brauchen, bis sich die neuen Möglichkeiten herumsprechen. Der Sprung, den das Thema auf der Power2Drive in München innerhalb eines Jahres gemacht hat, lässt vermuten: Es wird vielleicht schneller gehen, als die meisten Leute denken. Und die Energiewende enorm beschleunigen.

Lexikon

Übersicht der bidirektionalen Anwendungen

Vehicle-to-Building: V2B beschreibt die Möglichkeit, im Fahrzeugakku gespeicherten Strom in ein Gebäudenetz einzuspeisen.

Vehicle-to-Grid: V2G bezeichnet die Funktionalität, aus der Traktionsbatterie des E-Autos direkt ins Stromnetz einzuspeisen.

Vehicle-to-Home: Beim V2H speist das E-Autos den Strom ins private Wohnhaus (Hausnetz) ein.

Vehicle-to-Load: Mit V2L stellt das E-Auto Strom für elektrische Geräte zur Verfügung, beispielsweise Schweißgeräte oder elektrische Werkzeuge.

Vehicle-to-Vehicle: V2V erlaubt es, mit dem Strom aus dem Fahrzeugakku ein anderes E-Fahrzeug zu laden, zum Beispiel als Starthilfe.

Vehicle-to-Everything: V2X ist die generelle Bezeichnung dafür, dass Strom aus der Batterie außerhalb des Fahrzeugs genutzt wird.

Dieser Artikel von Heiko Schwarzburger ist zuerst erschienen in Photovoltaik 07/2023. 

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