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Klimaneutralität bei Mehrfamilienhäusern: Strategien und Konzepte

Claudia Siegele
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Die seit Jahrzehnten bei einem Prozent dümpelnde Sanierungsquote macht den Gebäudebestand zum großen Problem für das Erreichen der Klimaschutzziele in diesem Sektor. Eine neue Studie zur Klimaneutralität im Gebäudebestand hat im Auftrag des Bundes­verbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) und des Verbands für Dämmsysteme, Putz und Mörtel (VDPM) nun „praxisgerechte und wirtschaftlich umsetzbare Vorschläge“ erarbeitet.

Jeder weiß – im Gebäudesektor bremst allen voran der immense Bestand (Abb. 1) das Erreichen der Klimaziele. Die meiste Energie verschlingt in deutschen Haushalten immer noch das Beheizen der zumeist unsanierten Gebäude und Wohnungen (Abb. 2), nach wie vor überwiegend mit Öl und Gas [1]. Die über Jahrzehnte bei einem Prozent eingefrorene Sanierungsquote hat langsam, aber kontinuierlich einen Sanierungsstau produziert, der uns heute, wo der Klimawandel und die Wärmewende kein längeres Aufschieben des Handelns mehr erlauben, vor erhebliche Probleme stellt. Der Gebäudesektor verfehlte nun erneut die im Klimaschutzgesetz festgehaltene Emissionsminderung: Die vom Umweltbundesamt herausgegebenen CO₂-Emissionsdaten für 2021 zeigen, dass im Gebäudesektor anstatt der angepeilten 113 Mio. Tonnen CO₂ ungefähr 115 Mio. Tonnen emittiert wurden.

1 Verteilung der Endenergie nach Gebäudetypen (Bild: aus [4])

Es ist unübersehbar: Die Absicht zur Minderung der THG-Emissionen und die Realität klaffen nach wie vor weit auseinander. Der Druck steigt auch von anderer Seite: Fünf Jahre früher als ursprünglich geplant will Deutschland bis 2045 CO₂-neutral werden. Ein gut begründeter Schritt, denn dieses Sechstel weniger Zeit spart der Atmosphäre knapp eine Milliarde Tonnen CO₂, erfordert aber auch deutlich mehr Tempo im Strukturwandel, um das politisch vorgegebene Minderungsziel von 65 % bis 2030 tatsächlich zu erreichen. Weitere Rückschläge und Verfehlungen der vorgegebenen Zielmarken können wir uns nicht mehr leisten. Die Erkenntnis, viel zu lange mit politisch notwendigen Entscheidungen gehadert und gezögert zu haben, obwohl die Fakten und Zahlen auf dem Tisch lagen, sollte uns eine Lehre sein, fortan konsequenter zu handeln, anstatt weiter über die richtigen Wege zu streiten und am Ende doch wieder faule Kompromisse einzugehen.

Uns bleiben 23 Jahre – wir müssen sie effizient, pragmatisch und weitsichtig nutzen. Den Gebäudesektor und damit insbesondere die Wohnungswirtschaft stellt dieser Handlungszwang in Kombination mit dem zeitlichen Druck vor erhebliche Probleme und Herausforderungen, da alles, was jetzt an Entscheidungen weiterhin versäumt, zerredet und unterlassen wird, für den Klimaschutz und damit auch die Menschen fatale Folgen haben wird. Die heutigen Akteure in der Wohnungswirtschaft tragen somit weitreichende Verantwortung und sollten sorgsam abwägen, welchen Strategien sie den Vorzug geben, um ihren Gebäudebestand nachhaltig und zugleich vorsorglich klimafit zu machen.

Keine Klimaneutralität ohne verbesserte Gebäudeeffizienz

Die Kernfrage lautet: Wie schafft man es, die Sanierungsquote spürbar auf 1,7 bis 2 % anzuheben, und welcher energetische Standard ist hierfür anzustreben bzw. finanzierbar? Schließlich tragen die Mieter am Ende die Kosten – sei es durch gestiegene Kaltmieten infolge der Sanierungskostenumlage oder aufgrund immer weiter steigender Nebenkosten wegen fehlenden Wärmeschutzes und unzeitgemäßer Effizienz der Anlagentechnik. Um das zu beantworten, sind natürlich verschiedene Aspekte gegeneinander abzuwägen bzw. es ist zu überlegen, inwieweit die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen alleine dazu beiträgt, Deutschland bis 2045 CO₂-neutral zu machen, beziehungsweise die Sanierungsanstrengungen entlasten kann.

Zwar weiß auch die Wohnungswirtschaft, dass die Klimaneutralität nicht ohne Steigerung der Gebäudeeffizienz zu haben ist, jedoch vertritt der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen die Auffassung, dass es besser sei, möglichst viele Gebäude „mit Augenmaß“ energetisch zu sanieren und den verbleibenden Heizwärmebedarf mit erneuerbarer Energie zu decken, als eine „hochgerüstete“ energetische Modernisierung bzw. eine kostenintensive „Tiefensanierung“ anzustreben.

2 Mehr als die Hälfte des Energieverbrauchs in deutschen Haushalten geht zu Lasten der Wärmebereitstellung (Heizen und Warmwasser); ein Drittel fließt in den Verkehrssektor.

GdW schätzt sehr hohe Sanierungstiefe bei vermietetem MFH-Bestand als nicht zielführend ein

Um diese Einschätzung zu belegen, hat der GdW gemeinsam mit dem Verband für Dämmsysteme, Putz, und Mörtel (VDPM) die Studie „Klimaneutralität vermieteter Mehrfamilienhäuser– aber wie? beim Institut für Immobilienwirtschaft in Regensburg (IREBS) in Auftrag gegeben [2]. Anders als noch vor zwei Jahren, als die erste Studie dieses Instituts für den GdW zu der Feststellung kam, dass „nur eine hohe Sanierungsrate bei einer umfangreichen energetischen Ertüchtigung der vermieteten Bestandsobjekte auf EH 55-Standard geeignet erscheint, um den geforderten Beitrag zur Erreichung der Klimaziele realisieren zu können“, kommt man heute zu dem Ergebnis, dass „eine sehr hohe Sanierungstiefe beim vermieteten MFH-Bestand nicht zielführend“ sei. Ein bemerkenswerter Wandel.

Begründet wird dieser Schwenk mit sehr hohen Grenzkosten in der Praxis vor dem Hintergrund, dass sich mit einem höheren Standard als EH 70 „nur noch begrenzte weitere Einsparungen“ generieren ließen. Zudem bestünde bei Projekten mit „hochgeschraubten Ideen und technisch überfrachteten Anforderungen“ (Zitat Axel Gedaschko, Präsident GdW) eine deutliche Diskrepanz zwischen Bedarf und tatsächlichem Verbrauch. Mit dem Hinweis auf die grundlegende Erkenntnis, dass „die marginale Energieeinsparung mit zunehmendem Standard geringer wird und ab einem bestimmten Punkte andere Investitionen zur Erreichung der Klimaziele sinnvoller sind“, meint die Studie, dass mit dem forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien eine effektivere Investition getätigt sei (statische Effizienz). Kurzum: Das Narrativ des GdW, dass hocheffiziente Sanierung ohnehin nicht funktioniert, soll gestärkt werden. Wieder einmal wird über die große Zahl erfolgreicher Sanierungsbeispiele hinweggeschaut und die zahlreichen Beispiele und Publikationen dazu werden in der Studie geflissentlich übersehen.

3 Bis der Wohnungsbestand komplett mit regenerativer Energie versorgt wird, gehen wohl noch einige Jahre ins Land. Im Jahr 2021 lag der Anteil der Wärmepumpen bei lediglich 2,8 Prozent. Da hat auch die Wohnungswirtschaft noch vieles nachzuholen.

GdW stellt auf Dekarbonisierung der Energiewirtschaft ab

Entsprechend der Klimaziele sollten, so die abschließenden Empfehlungen, die CO2-Intensität und damit die THG-Emissionen im Mittelpunkt der Regulierung stehen. Ein „Mix“ aus höherer erneuerbarer Energiebereitstellung und geringerer Sanierungstiefe im Sinne einer „Niedertemperatur-readiness“ wäre somit aus wirtschaftspolitischer Sicht kostenoptimal und auch besser in Bezug auf die Treffsicherheit.

Es genüge „eine Senkung der Verbräuche und energetische Sanierung der MFH-Bestände auf EffH 70“. Dafür könne man nochmals verstärkt Mittel in den Aufbau der Kapazitäten für Grünstrom und andere erneuerbare Energien lenken. Und so kommt die Studie im Sinne des GdW zu dem Schluss, dass eine stärkere Dekarbonisierung der Energiewirtschaft bis 2030 in der Gegenüberstellung zu höheren Sanierungstiefen im Gebäudebestand kostengünstiger sei. Fragt sich nur: Für wen?

Was ist wirtschaftlich sinnvoll, was klimapolitisch nötig?

Im Prinzip stehen sich bei der Frage des Umgangs mit dem Gebäudebestand zwei Überlegungen gegenüber: Was ist wirtschaftlich sinnvoll, und was ist klimapolitisch nötig? Nach der Lesart der IREBS-Studie sucht die Wohnungswirtschaft nach Argumenten, wie sie den größten Teil ihrer Verantwortung für das Absenken der THG-Emissionen vom Gebäude weg hin zu den Energieerzeugern delegieren kann, da der fokussierte Blick auf den Effizienzstandard der Bestandsgebäude stets nur die aktuelle Situation widerspiegele. Da fortan nicht mehr die Energiebedarfe, sondern die Treibhausgasemissionen der entscheidende Bewertungsmaßstab für die Klimaschutzziele sei, so die Logik, käme der Energieeffizienz eines Gebäudes in Bezug auf die THG-Emissionen immer weniger Bedeutung zu, je „regenerativer“ der Energiemix ausfällt.

4 Die IREBS-Studie propagiert, vordringlich in den Ausbau der erneuerbaren Energien zu investieren – deren Anteil am Primärenergieverbrauch trägt mit 6,25 % bis auf Weiteres aber kaum dazu bei, die THG-Emissionen spürbar zu reduzieren.

Also warum heute viel Geld in einen EH 40- oder EH 55-Standard investieren, wenn dieser nach 2045 gar nicht mehr so entscheidend ist, weil bis dahin die darin installierten elektrifizierten Heizsysteme entweder von Solar- und Windstrom gespeist werden oder an regenerativen Nah- und Fernwärmenetzen hängen? Was die Wohnungswirtschaft dabei gerne übersieht: Rund drei Viertel aller Bestandsgebäude wird aktuell immer noch mit Öl oder Gas beheizt, 14 % beziehen Fernwärme (Abb. 3). Nur in knapp drei Prozent der Altbauten ist bereits eine Wärmepumpe installiert – bei knapp 22 Mio. Bestandsbauten entspricht dies 660.000 Wärmepumpen.

Die Parole aber lautet: Bis 2030 sollen fünf bis sechs Millionen weitere Wärmepumpenanlagen hinzukommen – wer auch immer die installiert. Woher dann der Strom kommt? Zwar wohl immer noch aus der Steckdose, aber bis 2030 keineswegs überwiegend mit erneuerbaren Energien erzeugt. Deren Anteil am Gesamt-Primärenergieverbrauch in Deutschland lag noch im Dezember 2021 gerade mal bei 16 % (Abb. 4), und noch 2020 bezogen die Haushalte ihren Energiebedarf nur zu knapp einem Zehntel aus Erneuerbaren (Abb. 5). Vor dem Hintergrund dieser Zahlen mutet die Aussage, der Effizienzstandard eines Gebäudes spiele alsbald keine bedeutende Rolle mehr, weshalb er zu vernachlässigen sei, doch eher befremdlich an.

5 Nur etwa ein Zehntel des Energieverbrauchs bezogen die deutschen Haushalte 2021 aus erneuerbaren Energien – wer in ungedämmten und fossil beheizten Altbauten aus der Zeit vor 1979 wohnt, kann von so einem Anteil bis auf Weiteres nur träumen.

Ist der EH 70-Standard im Jahr 2050 noch zeitgemäß?

Außerdem: Die Glaubwürdigkeit und Halbwertszeit von Prognosen ist so eine Sache. Derzeit führt uns der kriegerische Konflikt in der Ukraine vor, wie schnell sich die Annahmen für die Energiepreisentwicklung verändern können und die Haltbarkeit der darauf aufbauenden Wirtschaftlichkeitsberechnungen für mittel- bis langfristige Sanierungsstrategien ad absurdum führen.

Auch ist nicht absehbar, welche Folgen der Klimawandel mit steigenden Temperaturen und zunehmenden Unwetterkatastrophen in der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik auslöst – der Druck, mehr zu tun als nur das, was momentan wirtschaftlich sinnvoll und zweckdienlich erscheint, kann sich von einem aufs nächste Jahr grundlegend verändern.

Hinzu kommt, dass Gebäude, die heute auf EH 70-Standard saniert werden, bis zum Jahr 2045 keinen weiteren umfassenden Sanierungs- bzw. Instandhaltungszyklus mehr erfahren – in der Vergangenheit jedenfalls waren die Zyklen bei der Wohnungswirtschaft eher länger als kürzer.

Alter Wein in neuen Schläuchen

Immerhin sieht die IREBS-Studie vor, den Gebäudebestand mit EH-70-Standard „Niedertemperatur-ready“ zu machen. Was laut IREBS-Studie heißt: 14 cm Dämmung (mehr Dämmdicke „bewirkt nur noch geringe Einspareffekte“), neue Fenster plus Flächenheizung; bei der Lüftung zeigt man sich eher skeptisch. Kommt einem doch alles irgendwie bekannt vor, oder? Derartige Wärmeschutzniveaus waren zuletzt in der EnEV 2009 für Bestandsbauten beschrieben – also vor Fukushima und Atomausstieg.

Sich auf dieses Niveau für den Gang in die THG-Neutralität zu berufen, steht der Wohnungswirtschaft nicht gut zu Gesicht. Einen EH 70-Standard für die Zeit bis 2050 als ernst zu nehmenden Beitrag für den Klimaschutz zu postulieren, müsste den Verantwortlichen die Schamesröte ins Gesicht treiben. Man darf von solchen Wohnungsbauprofis innovativere Ideen erwarten, wie zum Beispiel eine Förderkopplung, Stufenpläne oder Effizienzsteigerungskonzepte.

6 Der GdW beurteilt die Forderung nach dem EH 55-Standard für den Gebäudebestand als hochgerüstetes energetisches Modernisieren, das unwirtschaftlich sei und keine Breitenwirkung zeige, um die bei einem Prozent dümpelnde Sanierungsquote zu verdoppeln.

Es gibt viele andere Studien für Klimapfade, die weitaus intelligenteren Ansätzen nachgehen. Doch stattdessen liest man in der IREBS-Studie Sätze wie diesen: „Unstrittig ist zwar, dass eine Sanierung von Gebäude der Energieeffizienzklassen G und H auf EffH 55 massive THG-Einsparungen zur Folge hätten, die einen wesentlichen Beitrag zur Klimazielerreichung des Sektors leisten könnten, allerdings gilt dies auch für eine Sanierung auf EffH 70 und es ist zudem wichtig, auch die Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen aus volkswirtschaftlicher Perspektive zu beachten.“ In der Tat eine ziemlich sichere Strategie, um nachhaltig sein Scherflein dazu beizutragen, dass der Gebäudesektor auch fürderhin seine Klimaschutzziele verfehlt. Das Nachsehen haben bis und auch nach 2045 all jene Mieter in Wohnungen, deren Effizienzstandard, Komfort und technische Qualität sich wie der GdW rückwärts orientieren.

Download der IREBS-Studie, beauftragt von GdW und VDPM: https://bit.ly/GEB_2507

Literatur und Quellen

[1] Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, Beheizungsstruktur des Wohnungs­bestandes in Deutschland 2021, www.bdew.de

[2] Studie „Klimaneutralität vermieteter Mehrfamilienhäuser – aber wie?“, Prof. Dr. Sven Bienert MRICS REV, IRE|BS Institut für Immobilienwirtschaft, Universität ­Regensburg, 2022

[3] Studie „Wert der Effizienz im Gebäudesektor in Zeiten der Sektorenkopplung“, ­Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu), dem Fraunhofer IEE und Consentc, November 2018

[4] dena-Gebäudereport 2016, Deutsche Energie-Agentur GmbH, Berlin 11/2016

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