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So funktionieren Klimaschutz und Resilienz im Quartier

Anna Maria Fulterer, Ingo Leusbrock

Die Stromnetze in Österreich und Deutschland gehören mit jährlichen Ausfallzeiten zwischen 10 und 15 Minuten zwar zu den zuverlässigsten der Welt. Da Extremwetterereignisse zunehmen, wird Resilienz – beispielsweise der Schutz vor wetterbedingten Netzausfällen – dennoch immer wichtiger. Die „Ganzheitliche Energie-Master-Planung“ kombiniert die Anforderungen für den Klimaschutz mit der für eine sichere Versorgung nötigen Resilienz. Sie betrachtet nicht einzelne Gebäude, sondern Quartiere oder Campus, was häufig zu Synergien führt.

Ganzheitliche Energie-Master-Planung: Die systematische Aufnahme von Basisdaten, das Formulieren von Anforderungen und das Erstellen von Resilienz-Szenarien helfen, komplexe Projekte zu strukturieren und mögliche Alternativen zu bewerten.

Planungsprozess bringt komplexe Abläufe unter einen Hut

Zwei so komplexe Ziele wie den Klimaschutz und die Resilienz parallel zu verfolgen und dabei alle Voraussetzungen und Stakeholder im Blick zu behalten, ist eine Herausforderung. Sind dabei noch mehrere Gebäude betroffen, wird es noch kniffliger. In dem Programm „Energy in Buildings“ der Internationalen Energieagentur hat sich daher eine Forschungsgruppe daher mit genau diesem Prozess befasst.

Im „Annex 73: Towards Net Zero Energy Resilient Public Communities” hat ein internationales Team 33 Fallbeispiele aus verschiedenen Ländern untersucht. Herausgekommen sind eine Auswertung von Best-Practice-Beispielen und ein Handbuch, das Planungsteams die Ganzheitliche Energie-Master-Planung erleichtern soll. Das „Book of Pilots“ und die Case Studies bieten Inspiration für viele mögliche Lösungen und mithilfe des standardisierten Prozessablaufes lassen sich die Szenarien systematisch prüfen und vergleichen. Diese Aufgabe ist heute wichtiger denn je.

Die Teams haben die Abläufe in sechs Projekten getestet. Darunter waren zwei Militärkomplexe in den USA, eine Universität in Österreich, zwei Stadtviertel in Kanada und Deutschland sowie eine Region in Dänemark. Das österreichische Team unter der Leitung von AEE INTEC hat Resilienz-Alternativen für den Campus der Johannes Kepler Universität (JKU) in Linz untersucht. Finanziell unterstützt hat die Arbeit die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft FFG unter der Projektnummer 864147.

Beispiel: Johannes Kepler Universität

Am Anfang des Prozesses steht stets eine Analyse des Status quo, auch Baseline genannt. Für die JKU heißt das: Die gut 30 Gebäude auf dem Campus beziehen Strom und Fernwärme aus den jeweiligen Versorgungsnetzen. Einige Gebäude sind zudem an ein lokales Kältenetz angeschlossen. Auf dem Campus gibt es eine kleine Photovoltaikanlage, die ihren Strom in das öffentliche Netz einspeist. Nur wenige Verbraucher sind auf eine unterbrechungsfreie Stromversorgung angewiesen – zum Beispiel Kühlanlagen in den Laboren oder die Rechenzentren. Für sie existiert bereits ein USV-System mit Dieselgeneratoren.

Neben dem Status quo definiert der Planungsprozess in der Regel den künftigen Planzustand, auch Basecase genannt. Da an der JKU in naher Zukunft keine größeren Sanierungen geplant sind, sind Baseline und Basecase in diesem Fall identisch.

Neben der Energieversorgung ist es wichtig, in der Bestandsaufnahme weitere Besonderheiten eines Projekts zu erfassen. An der JKU beispielsweise sind die Nutzer und der Eigentümer des Campus, wie so oft bei öffentlichen Gebäuden, nicht identisch. Der Umstand erhöht die Zahl der Stakeholder und damit die Komplexität: Jedes Maßnahmenpaket muss sowohl die politisch gesteckten Ziele für öffentliche Gebäude erfüllen als auch den Anforderungen des Universitätsbetriebs genügen.

Das Sonnenschiff in der Freiburger Solarsiedlung.

Die Szenarien: Blue Sky und Black Sky

Als nächstes sind die Szenarien „Blue Sky“ (Auslegungsfall) und „Black Sky“ (Bedrohung) zu prüfen. Im Blue-Sky-Szenario erfasste das Projektteam die Ziele der Stakeholder für den Normalbetrieb. Dazu gehört im Fall der JKU zum Beispiel, dass der Strom 2030 bilanziell komplett aus erneuerbaren Energien kommen soll. Schon heute stammt er größtenteils aus Wasserkraft. Die CO₂-Emissionen sollen insgesamt um 37,5 Prozent sinken. Und schließlich soll sich die Lösung möglichst wirtschaftlich verwirklichen lassen.

Im Szenario „Black Sky“ untersuchte das Forschungsteam wahrscheinliche Störungen der Stromversorgung. Da der Campus in einem Talkessel liegt, sind Überschwemmungen und Muren (Schlammlawinen) bei extremem Wetter erwartbare Gefahren. Auch mit Stürmen ist zu rechnen. In diesen Szenarien muss mindestens die unterbrechungsfreie Stromversorgung für die kritischen Lasten wie Server und Laborkühlung sichergestellt sein. Unterbrechungen der sekundären und weiter nachrangigen Lasten sind für kurze bis mittlere Zeiträume hingegen akzeptabel, zum Beispiel bei der Beleuchtung, der Gebäudekühlung und der Wärmeversorgung.

Alternativen systematisch bewerten

Nach diesen ausführlichen Analysen geht es schließlich an die Prüfung von Alternativen, die den Zielen womöglich besser gerecht werden als der Basecase. Für die JKU hat das Projektteam vier Alternativen untersucht.

Alternative 1: Würde man nahezu alle Dächer und Fassaden für Photovoltaik nutzen, ließe sich der Strombedarf wie angestrebt bilanziell komplett aus erneuerbaren Quellen decken. Für das Ziel der CO₂-Minderung bringt es jedoch wenig, da ein Großteil des Stroms bereits aus Wasserkraft stammt.

Alternative 2: Ergänzt man die PV-Anlage mit einem Stromspeicher, der die kritischen Lasten für 24 Stunden deckt, steigert der Campus im Blue-Sky-Szenario seine Eigenversorgung. Im Black-Sky-Szenario sinken der Dieselverbrauch und die Ausfallzeit für die unkritischen Lasten. Mit einem gezielten Lastmanagement würden sich zudem wichtige unkritische Verbraucher für längere Zeit betreiben lassen, beispielsweise die Beleuchtung bestimmter Bereiche.

Alternative 3: Bei der Wärmeversorgung würde eine Sanierung nach den Richtlinien des Österreichischen Instituts für Bautechnik den Wärme- und Kältebedarf um 36 Prozent senken. Die CO₂-Emissionen würden wärmeseitig in demselben Maße sinken, da sich der Energiemix der Fernwärme nicht ändert.

Alternative 4: Mit einer ehrgeizigen Sanierung wäre eine 54-prozentige Minderung des Wärmebedarfs möglich, die wärmeseitigen CO₂-Emissionen würden entsprechend ­sinken.

Wie stark die Summe der CO₂-Emissionen für Wärme, Strom und Kälte sinkt, hängt von der Bewertung der Stromversorgung, den künftigen Emissionen der Fernwärme und der Kälteversorgung ab. Je nach Methodik wird die Minderung um 37,5 Prozent knapp erreicht oder verfehlt.

Für die Auswahl der besten Alternative sind auch die Kosten entscheidend. Sie wurden diese im ersten Quartal 2021 analysiert. Damals lag die Amortisationsdauer der PV-Anlage aus Alternative 1 bei neun Jahren, in Kombination mit dem Speicher aus Alternative 2 bei 20 Jahren. Die Standarddämmung in Alternative 3 amortisiert sich nach fast 40 Jahren, die ambitionierte Dämmung in Alternative 4 später. Kombiniert man die PV-Anlage mit der Dämmung, lassen sich die Mehrkosten teilweise kompensieren. Auf Grundlage dieser Bewertung kann am Ende des Prozesses eine Entscheidung für ein Energiesystem getroffen werden, das die Belange aller Stakeholder sowohl im Blue- und Black-Sky-Szenario berücksichtigt.

Neubetrachtung 2023: Resilienz gewinnt

Die Bewertung der Szenarien liegt erst zwei Jahre zurück. Schon heute würde sie jedoch vermutlich anders aussehen, denn die Energiekosten steigen, Energieengpässe und Hitzewellen werden wahrscheinlicher. Das macht Maßnahmen interessant, die noch im Detail zu bewerten sind: So könnten lokale Netze in Kombination mit Wärmepumpen alle Gebäude mit Kälte- und Niedertemperaturwärme versorgen. Ein vorhandenes Wasserbecken auf dem Gelände ließe sich zur Wärmespeicherung nutzen. Grünanlagen und Wasserflächen könnten Hitzestaus verhindern und den Kühlbedarf senken.

Materialien zum Annex 73 können Sie hier herunterladen: www.t1p.de/geb230460

Dieser Artikel von Anna Maria Fulterer und Ingo Leusbrock erschien zuerst in Gebäude Energieberater-Ausgabe 04/2023. 

Anna Maria Fulterer ist seit 2015 im Bereich Gebäude von AEE INTEC tätig. Als Projektmitarbeiterin und -leiterin erforscht und entwickelt sie energieeffiziente, kreislauffähige sowie netzdienliche, nutzerfreundliche und resiliente Gebäude und Quartiere.

Ingo Leusbrock leitet den Bereich „Städte und Netze“ bei AEE INTEC in Gleisdorf. 

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