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Nullschwelle oder Überrollbarkeit - was ist barrierefrei?

Daniel Mund
Inhalt

Das ift Rosenheim hat 2018 ein Forschungsprojekt durchgeführt mit dem Ziel der Erarbeitung konstruktiver Lösungen, um die Anforderungen an die Funktion, Gebrauchstauglichkeit und die Schutzziele der DIN 18040 in Abhängigkeit von der Nutzergruppe gleichermaßen zu erfüllen. Eine situative Planung, Ausschreibung und Ausführung der Bauelemente sei sinnvoll, um das Optimum für die jeweilige Nutzergruppe zu erreichen. Auf Basis von Praxisuntersuchungen und Befragungen von Betroffenen wurden normative Kenngrößen für Fenster und Türen den Bedürfnissen der befragten Nutzer gegenübergestellt. Es wurde eine Methode entwickelt, mit der sich die Überrollbarkeit von Schwellen bewerten und klassifizieren lässt. Ein neu entwickelter Bedienkraftsimulator ermöglicht die Ermittlung realistischer Bedienkräfte.

Ein Schwerpunkt ist die Passierbarkeit von Fenster- und Türschwellen. In einem Fachbeitrag des ift Rosenheims von Projektleiterin Sandra Haut und Knut Junge wird darauf hingewiesen, dass schon geringe Schwellenhöhen ein unüberwindbares Hindernis sein können.

Weiter heißt es darin: „Die Passierbarkeit von Türen ist deshalb ein wesentliches Schutzziel, dass die DIN 18040-1 und -2 wie folgt beschreibt „Untere Türanschläge und Schwellen sind nicht zulässig. Sind sie technisch unabdingbar, dürfen sie nicht höher als 2 cm sein.“ Bereits im Anwendungsbereich der Norm wird aber darauf hingewiesen, dass die Schutzziele auch von der Norm abweichend erfüllt werden können.

Knut Junge legte auf den ift-Fenstertagen 2018 dar, dass nicht die Schwellenhöhe entscheidend ist, sondern die Überrollbarkeit des Hindernisses. Sein Messverfahren ermöglicht die Beurteilung von Schwellen in einer Klassifizierung ihrer Überrollbarkeit.

Außer der Schwellenhöhe hat auch die Schwellengeometrie Einfluss auf die Überrollbarkeit. Beides fließt in die Bewertung und Klassifizierung der Überrollbarkeit gemäß ift-Richtlinie BA-01/1 ein.

Weiter heißt es in der Fachpublikation: „Bei radgebundenen Hilfsmitteln (Rollstuhl, Rollator etc.) ist die Passierbarkeit einer Schwelle von deren leichten Überrollbarkeit abhängig und deshalb zur Bewertung der Barrierefreiheit gut geeignet. Die Höhe und Geometrie der Schwelle sind dabei maßgeblich.“ Beispielsweise braucht die Überwindung rechteckiger Schwellen 30 Prozent mehr Kraft als bei stark abgerundeten Schwellen gleicher Schwellenhöhe. Eine gute Überrollbarkeit verbessert zudem den Komfort für Personen mit Kinderwägen oder Einkauftrolley.

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts sind Basis für die ift-Richtlinie BA-01/1 „Ermittlung und Klassifizierung der Überrollbarkeit von Schwellen“. Die BA-01/1 beschreibt ein Verfahren zur objektiven Beurteilung der Überrollbarkeit, um die Planung, Ausschreibung und den Vergleich unterschiedlicher Schwellensysteme zu erleichtern. Die Bedürfnisse verschiedener Nutzergruppen werden durch die Klassifizierung berücksichtigt. Die ift-Fachinformation BA-02/1 empfiehlt für Rollatornutzer die Klasse 3 und für Rollstuhlfahrer die Klasse 2.

Wir haben dazu Ulrike Jocham, Heilerziehungspflegerin und Dipl.-Ing. Architektur sowie Bausachverständige für Schäden an Gebäuden (DESAG), Barrierefreiheit, Universal Design und Inklusion befragt. Sie kennt die verschiedensten Behinderungsformen und untersucht bereits seit über 13 Jahren disziplinübergreifend die Technik von Nullschwellen. Sie ist als Bausachverständige, Seminarleiterin, Referentin, Autorin und Beraterin (www.die-frau-nullschwelle.de) tätig.

Interview mit Ulrike Jocham

GLASWELT – Sehr geehrte Frau Jocham, das ift tourt jetzt schon länger durch Deutschland, mit dem Ziel, das 0-cm-Schwelle-Dogma aufzuweichen und die Überrollbarkeit einer Schwelle eher in den Vordergrund zu stellen. Was halten Sie von diesem Ansatz?

Ulrike Jocham – Türanschlagfreie und trotzdem schlagregendichte Nullschwellen gibt es mit Magnet-Dichtungen seit 1996 und mit Absenk-Dichtungen seit 2016. Die Materialübergänge im Bodenprofil sind dabei unter 4-5 mm und zusätzlich abgerundet und abgeschrägt. Technisch simple Türanschlagdichtungen zwischen 1-2 cm Höhe sind dadurch schlichtweg überholt. Es wird Zeit die längst vorhandene und dringend benötigte Innovation flächendeckend umzusetzen – nicht wie das ift im Jahr 2018 mit öffentlichen Geldern die Überrollbarkeit von alten Kamellen, die nach der UN-BRK und der DIN 18040 gar nicht mehr zulässig sind, zu untersuchen.

Ulrike Jocham, Heilerziehungspflegerin und Dipl.-Ing. Architektur sowie Bausachverständige für Schäden an Gebäuden (DESAG), Barrierefreiheit, Universal Design und Inklusion

Das ift hat kürzlich noch einmal darauf hingewiesen, dass der Aspekt der Überrollbarkeit in der Sanierung zur Anwendung kommen solle, da im Neubau eine 0-cm-Schwellenlösung die beste Lösung sei. Wie kommentieren Sie die Unterscheidung zwischen Neu- und Altbau?

Dass die Nullschwelle im Neubau gut umsetzbar sei, hat der ift-Institutsleiter Sieberath erst vor Kurzem gesagt, nachdem ich zahlreiche widerlegende Argumente bezüglich des ift-Forschungsberichtes aus 2018 an das ift und an das BBSR als Fördergeldgeber gesendet habe. Ich freue mich über diese sehr positive Entwicklung. Doch nun sind Korrekturen im Forschungsbericht gefordert. Allein die Zusammenfassung darin widerspricht den Aussagen von Sieberath. Und wenn das ift nun die Sanierung bezüglich der „Überrollbarkeit“ meinen möchte, dann müssen im Forschungsbericht Schwellenabbauten im Bestand untersucht werden. Nullschwellen im Neubau können ganz einfach umgesetzt werden, in der Sanierung sind die Rahmenbedingungen wesentlich komplexer – doch es ist kein einzig untersuchter Rückbau im Bestand im Forschungsbericht zu finden!

Sie haben das ift angeschrieben und technische Gründe für 1 bis 2 cm hohe Türanschlagschwellen erbeten. Haben Sie eine Antwort erhalten?

Diesbezüglich ist das ift mucksmäuschenstill. Auch bei sonstigen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten hinsichtlich Barrierefreiheit werde ich als „Frau Nullschwelle“ vom ift eher umgangen. Dabei fände ich eine fachliche und öffentliche Auseinandersetzung extrem spannend.

Die Original-Nullschwelle von Alumat verbaut im Espachstift in Kaufbeuren - ohne zusätzliche Rinne dicht seit 1999.

Was steht eigentlich in den zuständigen Normen? Ist eine niveaugleiche Schwelle der Normalfall oder reicht die 2 cm Schwelle aus?

Die Nullschwelle ist laut allen betreffenden Normen der Regelfall. Im Juli 2018 habe ich vom DIN e.V. die Antwort erhalten, dass sogar nach der neuen Norm für Bauwerksabdichtung (18531-1 und -5) der niveaugleiche Übergang als Regelfall aufzufassen ist. Und nach der Norm für Barrierefreiheit (DIN 18040-1 und -2) ist laut der Nullschwellen-Stellungnahme aus 2013 nur die Nullschwelle der Regelfall, 1-2 cm hohe sind lediglich ein Ausnahmefall im technisch, durch einen Sachverständigen begründbaren Einzelfall. Damit dürften keine Haftungsentbindungen bei Nullschwellen als normativer Regelfall mehr notwendig sein, sondern nur noch bei Türanschlagschwellen innerhalb des barrierefreien Bauens.

Stimmen der Betroffenen

Ulrike Jocham hat auf Ihrer Webseite auf das Forschungsvorhaben des ift Rosenheims hingewiesen und den Sachverhalt dargestellt. Daraufhin haben sich einige Betroffene dazu geäußert – hier ihre Meinungen:

Dieser Artikel und das dazugehörige Interview sind zuerst erschienen in GLASWELT 10/19.

Lesen Sie hier alles über das Barrierefreie Bad

Alles Wichtige zur Planung von barrierefreien Bädern

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