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Ökowärme im Quartier: Wärmeplanung für Wohngebiete

Joachim Berner

Im Quartier lebt es sich besser, das gilt zumindest für jene, die Wert auf eine nachhaltige Energieversorgung legen. Das sagt die Wissenschaft. Ein quartiersoptimierter Ansatz für die Energieversorgung bietet demnach viele Vorteile gegenüber dezentral optimierten Versorgungsstrukturen auf Gebäudeebene. So lautet das Ergebnis der Studie „Modellierung sektorintegrierter Energieversorgung im Quartier“ [1], die das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE im Auftrag der Deutschen Energie-Agentur erarbeitet hat. Dafür haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedene Quartiers­typen im ländlichen und urbanen Raum durchgerechnet.

Die Modellrechnungen haben ergeben, dass in den meisten Fällen die Kosten einer quartiersoptimierten Versorgung mit einer zentralen Infrastruktur zwischen 30 und 45 Prozent unter denen der Versorgung von Einzelgebäuden liegen. Die einzige Ausnahme: ländlich geprägte Quartiere, deren Heizungsbedarf nicht ausreicht, um ein Wärmenetz wirtschaftlich betreiben zu können.

Ursachen für den Kostenvorteil

Als Ursachen für den deutlichen Kostenvorteil einer Quartiers­versorgung, insbesondere in dicht bebauten städtischen Gebieten, nennt die Studie einen erhöhten Selbstversorgungsgrad mit kostengünstigen, lokal erzeugten erneuerbaren Energien. Zudem könnten innerhalb der zentralen Wärmeversorgung weitere Energiequellen wie biogene Blockheizkraftwerke und Abwärme besser erschlossen und eingebunden ­werden.

Zu dem guten Ergebnis der Quartierskonzepte trägt bei, dass die Studie die Stromversorgung berücksichtigt. So bietet der angenommene kostenfreie Stromaustausch zwischen den Gebäuden eines Quartiers die Möglichkeit, beispielsweise Photovoltaikanlagen gemeinsam zu nutzen. Das wirkt sich besonders in Wohngebieten mit einer hohen Energiebedarfsdichte positiv auf die Kosten aus, weil dort die Selbstversorgung einzelner Gebäude mit erneuerbaren Energien schwerer zu realisieren ist. Dies gilt laut der Studie insbesondere, wenn die Gebäude eines Quartiers inhomogen verteilte Energiebedarfsdichten und/oder unterschiedliche Lastprofile aufweisen, beispielsweise in Mischquartieren mit Wohn- und Gewerbegebäuden.

Doch genau an diesem Punkt beginnen die Schwierigkeiten, denn der gültige Rechtsrahmen erlaubt es beispielsweise lokalen Wohnbaugesellschaften nicht, Versorgungsstrukturen auf Quartiersebene aufzubauen. Das lässt sich nur ändern, wenn die Einschränkungen für Kundenanlagen im Energiewirtschaftsgesetz aufgehoben werden, die Autoren sprechen von einer Weiterentwicklung der Regulatorik von Kundenanlagen. Parallel oder alternativ wäre es auch möglich, Regelungen für lokale Energiegemeinschaften einzuführen. Dabei geht es laut der Studie darum, die Systemdienlichkeit der Quartiere zu garantieren, die Bereitstellung von lokalen Flexibilitäten für das vorgelagerte Energiesystem zu sichern sowie eine faire Finanzierung der Systemkosten auch durch die Betreiber von Kundenanlagen zu regeln.

Für Quartierskonzepte und Sektorenkopplung braucht es zudem neue Planungsmethoden (Abb. 1). Schließlich verschiebt sich der Fokus von einer Wärmeversorgung mit dezentralen Heizungssystemen in jedem Gebäude und einer zentralen Stromversorgung durch Großkraftwerke hin zu Strukturen, die lokale Erzeugungsquellen für eine gemeinsame Energieversorgung nutzen. „Das erfordert eine integrierte Planung des lokalen Energiesystems, bei der die Dynamik der Erzeugung und des Verbrauchs, die Sektorenkopplung, die Energiespeicherung für unterschiedliche Zeiträume, das Demand Side Management, das bidirektionale Laden von E-Fahrzeugen und ein intelligenter Betrieb berücksichtigt werden“, heißt es in der Studie. Damit, und das machen die Autoren deutlich, ist allerdings ein Mehraufwand durch die ausgeweitete Abstimmung und Koordination zwischen den Energiesektoren und zwischen Energie und Bauleitplanung sowie die Klärung von Zuständigkeiten und die Etablierung von Prozessen verbunden.

1 Die traditionelle Energiesystemplanung (links) optimiert die Wärmeversorgung auf Gebäudeebene (rot gepunktet) und die Stromversorgung auf regionaler/nationaler Ebene (blau gepunktet).

Beispiel Berlin: Abwasser als Wärmequelle

Zentrale Aspekte einer klimaneutralen Quartiersversorgung hat das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) für Berlin untersucht und seine Ergebnisse im Forschungsbericht „Öffentliche Gebäude als Keimzellen für klimaneutrale Quartierswärme“ [2] veröffentlicht. Unterstützt haben es dabei die Wirtschaftskanzlei Becker Büttner Held (BBH) , die Berliner Wasserbetriebe sowie die Berliner Senats- und Bezirksverwaltung. Herausgekommen sind Empfehlungen für Kommunen, Städte und Bundesländer.

Eine davon: Höhere Wärmedämmstandards auch in Milieuschutzgebieten vorzuschreiben. Denn selbst wenn sich die durch den Ukrainekrieg heftig durcheinandergewirbelten fossilen Energiemärkte beruhigen sollten, wird der CO₂-Preis steigen und damit die Heizkosten für Gas und Öl. „Darum kann sich eine energetische Sanierung, die über die gesetzlichen Mindeststandards hinausgeht, auch aus Sicht der Mieter lohnen“, schreiben die Studien-Autorinnen und -Autoren in einer Presseinformation. Sie haben berechnet, dass die Warmmiete sogar sinken kann, wenn die Vermieterinnen und Vermieter vorhandene Fördermittel nutzen und die Modernisierungskosten fair umlegen. Besonders in Milieuschutzgebieten sollten Kommunen daher ambitionierte Sanierungen stärker als bislang ermöglichen.

Was bisher nicht geschieht: In den 70 sozialen Erhaltungsgebieten Berlins werden ambitionierte energetische Sanierungen laut Studienautorin Charlotta Maiworm bislang selten genehmigt. Gleiches gelte für einen Wechsel von Gasetagenheizungen hin zu erneuerbaren Energien oder Fernwärme. „Um die Mieten langfristig günstig zu halten, sollten diese Projekte genehmigt werden – allerdings nur unter bestimmten Auflagen oder Bedingungen, etwa dass die Kosten für Mieter nicht höher sein dürfen als die Maßnahmen nach dem ordnungsrechtlichen Mindeststandard“, sagt die Energierechtsexpertin. Worauf Kommunen und Quartiersmanager dabei achten sollten, hat das Forschungsteam in dem Leitfaden „Energetische Sanierungen in Milieuschutzgebieten“ [3] zusammengefasst.

Außer einem hohen Wärmedämmstandard empfiehlt die IÖW-Studie, lokale Wärmequellen umfassend zu erschließen. Sie helfen, Energieimporte zu senken und Ressourcen effizient einzusetzen. Sie können sich je nach geographischer Lage unterscheiden. Während München beispielsweise ein großes Reservoir an Geothermie nutzen kann, verfügt Hamburg über ein großes Potenzial an industrieller Abwärme. Berlin dagegen muss dem IÖW zufolge mehrere Quellen anzapfen und einen breiten Mix aus gewerblicher Abwärme, Biomasse, Direktstromnutzung und Umweltwärme anstreben.

Abwasser nennt das IÖW als eine Wärmequelle, die in allen Städten ganzjährig zur Verfügung steht. Sie könne zu einem wichtigen Baustein des künftigen Energiemix werden und zum Beispiel in Berlin bis zu fünf Prozent des Wärmebedarfs decken. Doch benötigen die Städte für ihre Wärmeplanung Informationen darüber, wo und in welchem Umfang sie vorhanden ist und wie sie genutzt werden kann. Das IÖW hat deshalb entsprechende Daten in einem geobasierten Tool – dem Abwasserwärmeatlas – aufbereitet. Derzeit testet sie ihn in einer Probephase.

2 Beispiel Berlin: Die Keimzelle beschreibt einen Ansatz zur Entwicklung von Wärmeversorgungskonzepten im Quartier. Ein Gebäude bietet den Anlass, um mit anderen im Quartier eine gemeinsame Wärmeversorgung umzusetzen.

„Um lokale Wärmequellen zu erschießen, spielen öffentliche Gebäude eine zentrale Rolle“, erklärt Projektleiterin Elisa Dunkelberg vom IÖW, „Wenn dort zum Beispiel eine große Abwasserwärmepumpe installiert wird, kann sie über ein Wärmenetz auch umliegende Häuser versorgen.“ (Abb. 2) Wann immer bei öffentlichen Gebäuden ein Heizungswechsel oder eine Sanierung ansteht, sollte ihrer Meinung nach daher geprüft werden, ob ein Quartierswärmesystem möglich ist. Beispielberechnungen würden zeigen, dass sich Quartierswärme mit der geplanten Bundesförderung für effiziente Wärmenetze zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten lasse. Dunkelberg und ihr Team schlagen zudem Maßnahmen für eine erleichterte Umsetzung vor – etwa Musterverträge und Kriterienkataloge.

Jedoch müssen sie feststellen, dass bislang kein stabiler Rechtsrahmen für Quartierskonzepte existiert. Zudem könne das Vergaberecht bei öffentlichen Vergaben mit Ausschreibung wegen des großen Aufwands für die öffentliche Verwaltung eine Hürde darstellen. „Es fehlt somit aktuell ein hinreichender Anreiz, den Prozess der Quartiersfindung, Konzeptentwicklung und Vergabe systematisch und mit einem klaren Rollenverständnis anzugehen“, heißt es in der Studie.

Nichtsdestotrotz können die Bundesländer klimaneutrale Quartiersprojekte voranbringen. Mit den vom IÖW aufgeführten Möglichkeiten können sie ihren Kommunen die rechtlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Wärmewende schaffen. So sieht das Berliner Klimaschutzgesetz beispielsweise Sanierungsfahrpläne für öffentliche Gebäude vor.

Literatur und Quellen

[1] dena-Studie „Modellierung sektorintegrierter Energieversorgung im Quartier“: www.t1p.de/geb220760

[2] IÖW-Forschungsbericht „Öffentliche Gebäude als Keimzellen für klimaneutrale Quartierswärme“: www.t1p.de/geb220761

[3] IÖW „Leitfaden für Bezirke: Energetische Sanierungen in Milieuschutzgebieten“: www.t1p.de/geb220762

Weitere Informationen zu Quartieren auf dem Weg zur Klimaneutralität finden Sie auf den Internetseiten www.gebaeudeforum.de und www.urbane-waermewende.de.

Dieser Artikel von Joachim Berner erschien zuerst in Gebäude Energieberater-Ausgabe 07/2022.

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