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Nachwuchs fürs Handwerk: Vom Flüchtling zur Fachkraft

Stephanie Irrgang

Hervorragend ausgebildete Handwerkerinnen und Handwerker sind die Basis unserer Zukunftsfähigkeit. Sonst drohen folgende Szenarien: Die Heizung fällt aus, aber niemand kommt, um sie zu reparieren. Es gibt Legionellen im Haus, aber deren Beseitigung dauert monatelang. Noch dramatischer: Die Politik formuliert ambitionierte Klimaziele, aber es gibt zu wenige, die Gebäude energieeffizient sanieren, Solardächer installieren oder wassersparende Sanitärtechnik einbauen können. Nur mit genügend Fachkräften werden der Infrastrukturausbau, Klimaschutz und die Energie- und Mobilitätswende gelingen sowie die tägliche Versorgung gewährleistet sein.

Die Zukunftsbranche SHK kämpft aber mit dem Mangel an qualifiziertem Nachwuchs. Schon jetzt fehlen dem Gewerk 30.000 Fachkräfte. Da das SHK-Handwerk die Schlüsselrolle bei der Umsetzung der Energiewende einnimmt und maßgeblich das klimaneutrale Land bauen wird, steigt der Druck auf die Fachkräfteversorgung im SHK-Handwerk. „Die Energiewende wird noch einmal zusätzliche 20.000 Fachkräfte erfordern“, wie es die Prognos-Studie im Auftrag der VdZ (Spitzenverband der Gebäudetechnik) belegt. Langfristig bleibt das Niveau des zusätzlich benötigten Personals bei 15.000 Fachkräften sehr hoch. Aber „wo sind die Zukunfts-Macher des Handwerks?“, fragt auch besorgt der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer.

Von der Berufsorientierung zur Ausbildungsbegleitung

Die Innung SHK Berlin hat dieses Dilemma früh erkannt und sieht sich in besonderer Verantwortung, zur Fachkräftesicherung beizutragen. Dafür bespielt die Innung seit Jahren die gesamte Bandbreite der Berufsorientierung, der überbetrieblichen Ausbildung, der Ausbildungsbegleitung zur Unterstützung von Azubis, der Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen sowie der Weiterbildung. „Wir sind überzeugt, nur ein Maßnahmenmix kann Abhilfe schaffen. Dazu gehört neben dem Thema Image und der Verbesserung der Ausbildungsqualität vor allem die unermüdliche Ansprache aller denkbaren Zielgruppen“, erklärt Geschäftsführer Andreas Koch-Martin das Engagement der Berliner Innung.

Ein Baustein der Fachkräftegewinnung in Berlin ist daher auch die Integration geflüchteter Menschen. Und das läuft recht erfolgreich. Mittlerweile sind im Berliner SHK-Handwerk 8 % junger Menschen mit Fluchthintergrund in regulären betrieblichen Ausbildungsverhältnissen. Die Innung engagiert sich seit Jahren in den Projekten „Berufliche Orientierung für Zugewanderte“ (BOF) und „Arrivo Berlin“. „Es geht um die Rekrutierung von Nachwuchs, aber wir leben hier auch unsere Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und unseren Grundwerten“, ergänzt Koch-Martin.

Unter der Dachmarke Arrivo Berlin (gefördert von der Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales) bietet die Innung vielfältige Ausbildungsunterstützung an. Sie kümmert sich um Kompetenzfeststellung, unterstützt bei Bewerbungen, vermittelt Praktikumsplätze und ermöglicht Förderunterrichtsangebote in Fachdeutsch.

Unter der Dachmarke Arrivo Berlin bietet die Innung vielfältige Ausbildungsunterstützung an. Sie kümmert sich um Kompetenzfeststellung, unterstützt bei Bewerbungen, vermittelt Praktikumsplätze und ermöglicht Förderunterrichtsangebote in Fachdeutsch.

Wunschberufe erst einmal „antesten“

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte BOF-Programm richtet sich an Zugewanderte jeden Alters mit Arbeitsmarktzugang und Aussicht auf längeres Bleiberecht sowie Zugewanderte mit besonderem Förderbedarf. Nach einer individuell ausgestalteten allgemeinen beruflichen Orientierung erhalten die Teilnehmenden die Möglichkeit, sich intensiv mit bis zu drei Berufen zu beschäftigen, in denen sie sich eine Ausbildung vorstellen können. Neun bis maximal 18 Wochen lang testen sie in Lehrwerkstätten und Praxisräumen, ob die ausgewählten Berufe tatsächlich ihrer persönlichen Eignung und Neigung entsprechen. Während der Werkstatt- und Praxistage erfahren sie außerdem mehr zu Aufbau und Inhalten der dualen Ausbildung und werden auf die Anforderungen der Berufsschule vorbereitet.

Im BOF-Programm erhalten die Teilnehmenden die Möglichkeit, sich intensiv mit bis zu drei Berufen zu beschäftigen. Neun bis 18 Wochen lang testen sie in Lehrwerkstätten und Praxisräumen, ob die ausgewählten Berufe ihrer persönlichen Eignung entsprechen.

Mit der Entscheidung für den Ausbildungsberuf Anlagenmechaniker durchläuft der Zugewanderte dann eine mehrwöchige Betriebsphase, um Betriebsstrukturen besser zu verinnerlichen. Sozialpädagogische und fachsprachliche Begleitung werden kontinuierlich flankierend angeboten. Die integrierte Vermittlung berufsbezogener Fach- und Sprachkenntnisse ist ein zentraler Bestandteil des BOF-Konzepts. Seit 2017 durchliefen rund 100 Zugewanderte in zehn Kursen das BOF-Programm der Berliner Innung. Aktuell sind acht Teilnehmer dabei. Die nächsten Durchgänge beginnen dann 2022.

Orientierung in einem komplexen System geben

Unter der Dachmarke Arrivo Berlin (gefördert von der Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales) bietet die Innung Geflüchteten, die eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker SHK anstreben oder bereits begonnen haben, vielfältige Ausbildungsunterstützung an. Die SHK-Innung kümmert sich um Kompetenzfeststellung, unterstützt bei Bewerbungen, vermittelt Praktikumsplätze und ermöglicht Förderunterrichtsangebote in Fachdeutsch. Hierzu beschäftigt die Innung eine eigene Sprachlehrerin.

Während der Ausbildung stehen Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen als Coaches bereit, um die jungen Menschen zu begleiten und Orientierung im komplexen Hilfesystem der Stadt Berlin zu geben. Aber auch bei Unsicherheiten über die Rechtslage, bei Behördengängen oder gegenüber Ausbildungsbetrieben bei kulturell bedingten Missverständnissen und Konflikten vermitteln die Innungs-Coaches. Tatsächlich scheuen Ausbildungsbetriebe vielfach den Betreuungsaufwand oder befürchten Vorbehalte ihrer Kunden. Hier kann die Innung kultursensibel und mit Sachverstand Hemmnisse ausräumen.

In Arrivo befinden sich aktuell 38 Teilnehmer. Seit Juni 2017 haben rund 190 zugewanderte Azubis dieses Programm durchlaufen. Mit der Unterstützung der Innung haben zwei Drittel ihre Gesellenprüfungen bestanden und konnten in reguläre Angestelltenverhältnisse aufgenommen werden.

Es gibt weitere senatsgeförderte Programme, an denen sich die Innung beteiligt, u. a. EMSA „Erfolg mit Sprache und Abschluss“. Es richtet sich an arbeitslose Migrantinnen und Migranten und inzwischen auch an zugewanderte Arbeitskräfte. Ziel ist die modulare Qualifizierung im Beruf Anlagenmechaniker/in SHK. Die Bestehensquote ist hier relativ hoch.

Die integrierte Vermittlung berufsbezogener Fach- und Sprachkenntnisse ist ein zentraler Bestandteil des BOF-Konzepts. Seit 2017 durchliefen rund 100 Zugewanderte in zehn Kursen das BOF-Programm der Berliner Innung.

Vom Flüchtling zur Fachkraft

Wie erfolgreich das Engagement der Innung und vor allem wie wertvoll die Integration Geflüchteter ins Handwerk ist, zeigt exemplarisch die Geschichte von Abdullah Aghajani. 1999 in Herat/Afghanistan geboren, kam er 2015 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling aus dem Iran nach Deutschland. Seine Familie lebt seit der Flucht aus Afghanistan bis heute im Iran. Die Wirren des Kriegs hatten ihm vor seiner Ankunft in Deutschland lediglich sechs Jahre Schulbesuch ermöglicht. Seine Jugend verbrachte er mit Aushilfsjobs als Verkäufer und in einer Kfz-Werkstatt. „Ich hatte dadurch aber das Schweißen gelernt und kannte den Werkstoff Metall ganz gut“, bewertet er seine schulische Situation.

In Deutschland ging es dann richtig los: Er besuchte schon ab 2016 eine Willkommensklasse und wurde aufgrund ausgezeichneter Leistungen sowie ausgeprägter technischer Begabungen in die Regelklasse einer Oranienburger Schule aufgenommen. Dort legte er mit guten Noten seinen erweiterten Berufsbildungsabschluss (eBBR) ab. Abdullah Aghajanis Deutschkenntnisse sind erstaunlich. Er hatte aber auch das Glück, in das Haus einer deutschen Gastfamilie aufgenommen zu werden. In diesem Haushalt lebt er bis heute mit enger familiärer Anbindung. Über diese Familie und das Jugendamt Oberhavel fand er schließlich zum Berufsorientierungsprogramm BOF und konnte seine Ausbildungsvorbereitung durchlaufen, die aus Werkstatteinheiten, Fach­theorie, Deutsch und zuletzt einem Praktikum als Anlagenmechaniker bestand.

In seinem Praktikumsbetrieb begann er dann 2018 eine reguläre Ausbildung. „Ich konnte wählen zwischen Mechatroniker und Anlagenmechaniker. Ich habe mich für die Anlagentechnik entschieden, weil sie mir vielseitiger erscheint und ich glaube, dass ich so größere Entwicklungschancen habe“, sagt der motivierte junge Mann. Mit dem Ausbildungsplatz wechselte er zudem auch in das Projekt Arrivo, erhielt speziellen Unterricht in Fachdeutsch, Hilfe bei der Aufarbeitung des Berufsschulstoffs und er wurde durch das Coaching der Innung begleitet. Mithilfe der Innung entschied sich Abdullah des vielfältigeren Auftragsportfolios wegen 2019 schließlich sogar für den Wechsel zu einem der größten Berliner Ausbildungsbetriebe, dem Innungsmitglied Theodor Bergmann GmbH. Dort bestand er im Sommer 2021 seine Gesellenprüfung mit guten Noten. Belohnt wurde er mit einer Festanstellung bei Theodor Bergmann.

Unterstützen und Erfahrungen weitergeben

Inzwischen engagiert sich Abdullah Aghajani selber für junge Geflüchtete im Mentoring-Programm der Innung. Das Landesprogramm Mentoring unterstützt Azubis bei Schieflagen in der Ausbildung. „Aufgrund meiner guten Erfahrungen habe ich die Innung mit Erfolg mehreren Landsleuten empfohlen.“ Er betreut in diesem Rahmen eine junge Person, die ebenfalls aus Afghanistan stammt. Er steht ihm mit seinen Erfahrungen im Hinblick auf Lernmethoden, asylrechtliche Fragen, Rechte und Pflichte in der Ausbildung und mit seinen Sprachfähigkeiten zur Seite.

Der Ausbildungsverlauf ist ein Musterbeispiel für das nahtlose Ineinandergreifen von Bildungsketten und sozialpädagogischen Maßnahmen. Das funktioniert nicht immer so mustergültig wie ein Uhrwerk. Rückschläge gehören dazu. Aber die gesellschaftliche Verantwortung für Integration sollte auch Selbstverpflichtung des Handwerks sein. Die Berliner SHK-Innung wird weiterhin diesen Weg beschreiten und kann ihren Fachkolleginnen und -kollegen nur zuraten, Gleiches zu tun. „Wir halten es mit dem Slogan der Handwerkskampagne: Bei uns zählt nicht, wo du herkommst, sondern wohin du willst“, bekräftigt Koch-Martin das Berliner Selbstverständnis.

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