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Paradigmenwechsel im Wohnungsbau: Energieautarkie bei Mehrfamilienhäusern

Dittmar Koop

Timo Leukefeld will zugleich echte energieautarke Gebäude bauen, deren Energieversorgung für Wärme und Strom auf Photovoltaik-(PV)-Eigenstrom basiert, plus Abgleich einer Deckungslücke mit Ökostrom.

Er verzichtet auf wasserbasierte Systeme zur Wärmeversorgung und setzt ganz auf Strom. Pikant ist, dass Leukefeld in der Erneuerbaren-Energien-Branche sich in der Vergangenheit insbesondere darüber einen Namen gemacht hat, große Solarthermieanlagen auf Einfamilienhäusern (EFH) zu konzipieren, verbunden mit sehr großen Pufferspeichern. Davon ist er inzwischen vollkommen abgekehrt: In seinem neuen Konzept hat die Solarthermie keinen Platz mehr. Die ersten Bauprojekte sind bereits verwirklicht und weitere im Bau. Perspektivisch sind 325 Wohneinheiten in der Pipeline.

Skizze eines energieautarken Gebäudes. Dach und Fassade werden für Photovoltaikanlagen genutzt. In der Energie-Flatrate soll auch das Beladen von E-Autos inbegriffen sein.

Protagonisten vorgestellt

In Lübben bei Berlin baut aktuell die Lübbener Wohnungsbaugesellschaft (LWG) nach eigenen Angaben die ersten enttechnisierten und energieautarken Mehrfamilienhäuser Deutschlands, die konzeptionell aus Timo Leukefelds‘ Feder stammen und die seines „Autarkie-Teams“ (www.autarkie.team). Leukefeld und seine beiden Kollegen Jürgen Kannemann (Projektsteuerung) und Klaus Hennecke (Architektur) betreiben selbst keine Bau-Ausführung – sie erarbeiten für interessierte Kunden, wie z. B. Wohnungsbaugesellschaften, ein schlüsselfertiges Konzept und verpflichten dann aber auch die Kunden, die sich für eine solche Lösung entscheiden, diese auch genauso umzusetzen und sie nicht ggf. abzuwandeln. Nur so könne die dem Konzept zugrundeliegende Bau-und TGA-Philosophie gewährleistet sein, sagen die Macher.

Bspw. ist eine 100-%-Eigenstromversorgung zwar technisch machbar, aber der Aufwand, Mengen von über 70 % aus dem Gebäude herauszukitzeln, steht in keinem Kosten-/Nutzenverhältnis mehr. Folglich wird die solare Deckungslücke mit Ökostrom geschlossen, der extern bezogen wird. Auch der Ökostrombezug zählt zu den Vorgaben.

Die Eckdaten von Lübben

In Lübben entstehen sieben Wohnungen (2 x 2, 4 x 3 und 1 x 4 Zimmer) im KfW-Effizienzhaus-Standard 55. Die Gebäudenutzfläche (AN) beläuft sich auf 698 m2, die Wohnfläche beträgt 574 m2. Zur Stromversorgung werden PV-Anlagen auf dem Dach und an den Fassaden installiert, insgesamt 48,3 kW, verbunden mit 73 kWh Solarstromspeicherkapazität. Der solare Deckungsgrad am gesamten Energiebedarf (Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom) soll Werte von 51 bis 56 % erreichen. Für die Wärmeversorgung werden Infrarotheizungen eingebaut und die Warmwasserbereitung erfolgt dezentral elektrisch. „Wir planen, eine echte solare Deckungsrate von 50 bis 70 % bei Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom in den von uns so konzipierten Häusern und orientieren uns bei dem Begriff an der Definition des Sonnenhaus-Instituts. Das simulieren wir im Vorfeld anhand von uns vorliegenden Daten“, sagt Timo Leukefeld.

Zurück auch zu Altem

Andere Planungsfaktoren fließen auch mit ein, um das Deckungs-Ziel zu erreichen. Dazu gehört, Pultdächer zu bauen und, was Leukefeld und seinem Team auch ganz wichtig ist, in punkto Baukörper als Energiespeicher wieder neu zu denken in Richtung Massivbau und Wandstärken. Auch interessant: eine Abkehr von großen Fenstern. „Südfenster werden bei uns tatsächlich relativ klein gehalten“, berichtet Leukefeld und hat dafür auch eine ganz einfach plausible Erklärung: „Die Erfahrung aus dem heute hochgedämmten Wohnungsbau ist ja leider, dass diese Häuser im Sommer durch die passive Sonneneinstrahlung sehr schnell überhitzen.“

Eine Kehrtwende im Leben von Timo Leukefeld

Timo Leukefeld ist in der Solarbranche insbesondere über das Thema Solarthermie und großer, gebäudeintegrierter Speicher sehr bekannt geworden. In seinem neuen Konzept spielt die Solarthermie keine Rolle mehr, stattdessen die Photovoltaik. „Das ist mir in der Tat schwergefallen“, berichtet er ganz offen. „Ich bin drei Monate in ein tiefes Loch gefallen und war praktisch für keinen ansprechbar. Es ist schon schwer, wenn man erkennt, dass ein Weg nicht weitergeht und sich das dann selbst einzugestehen. Zumal auch in Deutschland, wo hier Richtungsänderungen nur schwer verziehen werden, anders als zum Beispiel in den USA.“

Doch die Solarthermie sei nicht günstiger geworden im letzten Jahrzehnt, die Photovoltaik schon. „Die PV liegt heute im Einfamilienhaus bei 9 bis 10 ct/kWh, in 10 Jahren wird sie bei 1 bis 2 ct liegen. Hinzu kommt, und das klingt zynisch, dass aufgrund des Klimawandels das Thema Heizen gegenüber dem Thema Kühlen in Zukunft an Bedeutung verliert. In Verbindung mit hochgedämmten Häusern. Wir werden uns mehr der Frage zuwenden müssen, wie wir Gebäude kühlen. Die Solarthermie wird aus meiner Sicht im Altbau weiter eine große Rolle spielen, im Neubau aber nicht“, sagt er.

Einer der Paradigmenwechsel des Teams um Leukefeld im Bauen ist der Verzicht auf Solarthermie. Heute noch Standard im Neubau.

Paradigmenwechsel im Bauen

Was die Planungen aber über dem hinaus so besonders und andersartig macht, ist die konsequent durchdachte, ganzheitliche Komposition. Dazu muss man über die Hintergründe Bescheid wissen, die ein Fundament an Überlegungen liefern, auf denen das Konzept letztendlich fußt. „Wir wollen nicht weniger als einen Paradigmenwechsel im Bauen erreichen. Die Entwicklung der vergangenen Jahre, vorangetrieben durch die staatliche Förderung, wie die KfW-Programme, hat zu einer technisierten Bauweise geführt. Je mehr Technik verbaut wird, umso höher fällt die Förderung aus. Wenn ich zusätzlich Technik einbaue, dann wird das von staatlicher Seite belohnt.

Das führt aber dazu, dass die Haustechnik für den Bauherren trotz Förderung immer teurer wird. Was bis jetzt noch übersehen wird: Damit steigen aber auch die Instandhaltungs- und Modernisierungskosten“, erläutert Leukefeld. Ein weiterer Umstand käme noch hinzu: Der sich schon jetzt abzeichnende Handwerkermangel werde sich in Zukunft noch verschärfen – mit der Folge, dass die Handwerkerpreise weiter, möglicherweise horrend steigen, wie manche Zukunftsforscher prognostizieren. „Wir sprechen bereits von der so genannten 3. Miete, die immer mehr an Bedeutung gewinnen wird, wenn man diesen Weg vollzieht. Wir müssen uns trauen, vielbeschworene Technik in Frage zu stellen. Weniger ist mehr“, ist Leukefeld überzeugt und er setzt das in seinen Konzepten um.

Hintergründe zum Konzept

Die zentralen Begriffe in seiner Gebäudetechnik- und Betriebs-Konzeption lauten „Energieautarkie“, „Doppelte Disruption“, „Enttechnisierung“ und „Energieflat“. Der Begriff Disruption beschreibt im technischen Umfeld die Situation, dass eine bestehende Technik durch eine neue ersetzt wird. Man kann das auch verallgemeinern und grundsätzlich übertragen. Leukefeld dazu: „In unserem Fall bezieht sich der Begriff ,Disruption einerseits auf die Technik, indem wir strombasierte Hauskonzepte verwirklichen und auf die klassische wassergeführte Haustechnik verzichten.

Andererseits bedeutet es auch einen Bruch mit der klassischen Herangehensweise, wie Immobilien als Mietobjekt kalkulatorisch und dann später auch vertragstechnisch aufgezogen werden. Wenn in zunehmend technisierten Gebäuden der Faktor Wartungs- und Instandhaltungskosten größer wird sowie die 2. Miete, die klassischen Betriebskosten, etwa über Heizkosten, weiter steigen und die CO2-Steuer greift, dann wird die Marge für Investoren, die Rendite über die Kaltmiete erzielen wollen, immer kleiner, weil sich in der Summe die Mietpreise dann nicht mehr kommunizieren lassen. Bei der Disruption geht es also auch um ein Umdenken. Wir brauchen neue Geschäftsmodelle.

Energie all inklusive

Die Energieflat ist in dem Konzept eine zentrale Säule. Vorgesehen ist, eine Pauschalmiete inklusive einer Energieflat für Wärme und Strom zu garantieren. „Wir gehen mit dem Angebot einer Miet- und Energieflatrate (Heizung, Warmwasser, Haushaltsstrom und E-Auto tanken sowie sonstiger Betriebskosten) mit 2-3 €/m2 Aufschlag auf die Kaltmiete an den Markt. Die Energieflat wird im Vertrag dann über 5 oder 10 Jahre in dieser Höhe garantiert. Hier kann der Vermieter wählen, welches Modell er nimmt“, erklärt Leukefeld. Angst davor, dass das von Mietern ausgenutzt werden könnte, hat er nicht. „Wir sprechen in solchen Fällen von Energienomaden, die jegliche Flatrate sprengen.

Das ist auch aus anderen Bereichen bekannt, zum Beispiel beim Handy, wenn jemand seine Flatrate dazu nutzt, um eine Telefonstandleitung nach China aufzubauen. Hier verfahren wir wie alle anderen auch: Wir setzen eine Verbrauchsobergrenze, die allerdings auch sehr großzügig bemessen ist, so dass im Normalfall hier niemand an die Grenze stößt. Sollte allerdings doch der unwahrscheinliche Fall eintreten, dann haben wir die Möglichkeit, die Stromflüsse über einen Elektriker aktuell zu messen. Unser Konzept basiert ja zwar auch darauf, dass bei uns keine individuellen Zähler mehr eingebaut werden und damit auch Messkosten von Messdiensten entfallen und das ganze Abrechnungswesen für Mieter und Vermieter sehr vereinfacht wird. Dennoch gibt es die Möglichkeit, im Zweifelsfall Stromflüsse zu ermitteln. Aber die Mieter, die in solche Objekte ziehen wollen, tun das auch sehr bewusst“, antwortet er.

Furioser Marktstart

Das Konzept kommt am Markt furios an. In Lübben waren die Wohnungen schon vor Baubeginn vergeben. Tatsächlich haben Leukefeld und sein Autarkie-Team aktuell 325 Wohneinheiten in der Planungspipeline, verteilt über ganz Deutschland, auch in Österreich und der Schweiz. „In Frankreich planen wir das Konzept im Bereich des sozialen Wohnungsbaus, was auch neu ist. Dazu ein paar Sonderbauten“, berichtet er. Man mache ja auch keine Ausführungsplanung, sondern liefere mit dem energetischen Kompass die schlüsselfertige Strategie, bis hin zum Mietvertrag. Aber genau das kommt offenbar richtig gut an.

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